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Orangentage

Orangentage

Titel: Orangentage
Autoren: Iva Procházková
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ins Gesicht spucken. » Du Feigling«, würde er zu ihm sagen. »Was hast du getan, als Anton mit dem Truck kam? Hast du die Pferde mit einer Möhre hereingelockt? Oder hast du einen Stock in die Hand genommen, wie die Typen auf Youtube? Erzähl mal! Hast du es ungern getan? Hast du dabei die Augen zugemacht? Hast du dir dabei gesagt, dass das nötig ist, weil du nicht die englische Königin bist und Pferde nur Nutztiere sind? Hat es dich nicht gestört, dass es endgültig ist? Dass man es nicht ändern kann?«
    Â»Darek … bist du das?«
    Er zuckte zusammen und schaute zur Hofeinfahrt. Herr Havlik stand dort.
    Â»Ich habe dich schon vorhin oben am Wald gesehen, aber ich dachte, ich hätte mich geirrt. Was machst du hier, Junge?« Er ging über den Hof auf die Koppel zu, seine Bewegungen verrieten Unruhe. »Ich dachte, du würdest erst übermorgen kommen. Ist etwas passiert?«
    Die Frage entfachte Wut in Darek. Sollte das ein Witz sein? Er stand einer leeren Koppel gegenüber, guckte auf die verlassene Weide und fragte, ob alles in Ordnung sei?
    Â»Nein, alles ist perfekt!«, schmetterte er ihm entgegen.
    Â»Weiß dein Vater, dass du hier bist?«
    Darek schwieg. Es kam ihm unverschämt vor, unter diesen Umständen ein Gespräch zu führen. Den Mund zu öffnen, Silben zu Wörtern zusammenzusetzen, Gedanken auszusprechen. Ach was, Gedanken, Geschwafel! Ihm war früher schon aufgefallen, dass Erwachsene reden, um die Klinge ihrer Taten stumpf zu machen und die Aufmerksamkeit vom Wesentlichen abzulenken. Wenn ein Pferd starb, wenn jemand es tötete – planmäßig, berechnend, gemein, ohne Mitleid –, war das an sich so schrecklich, so abwegig, dass man darüber nur schweigen konnte. Man konnte sich höchstens in sein Zimmer einschließen, sich unter der Bettdecke verstecken und heulen, solange man Tränen hatte. Oder weglaufen und nie wieder zurückkommen. Weg von dieser Weide, von dieser Koppel, von dem verwaisten Pferdehaarbüschel … Weglaufen und sich niemals mehr umdrehen. Man konnte versuchen, wenn schon nicht zu vergessen, so doch sich wenigstens nicht so oft zu erinnern. Aber man konnte sich nicht darüber unterhalten. In keiner Sprache. Nicht einmal auf Englisch.
    Er setzte sich in Bewegung, ging wortlos zu dem Koppeltor, das sperrangelweit offen stand (hier wurden sie entlanggetrieben, eines nach dem anderen) , um im Haus zu verschwinden. Es gelang ihm nicht. Herr Havlik hob die Krücke, versperrte ihm den Weg und zwang Darek, zur Seite zu rücken. Dadurch standen sie sich plötzlich von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Herr Havlik atmete schwer, Darek hörte, wie es in seinen Bronchien rasselte.
    Â»Hast du die Sprache verloren? Bin ich es nicht wert, dass du mir antwortest?«
    Seine grauen Augenbrauen standen zu Berge, doch nicht vor Ärger, der Blick verriet eher Besorgnis. Auch sein Arm mit der Krücke zitterte. Darek zögerte, dann machte er noch einen Schritt auf ihn zu. Er wollte möglichst dicht vor ihm stehen, nur so konnte er spüren, wenn er ihn anlog.
    Â»Wann?«, stieß er hervor. »Wann haben sie sie weggebracht?«
    Â»Warte, beruhige dich …«
    Â»Wann?!«
    Â»Vor …« Herr Havlik räusperte sich. »Schon vor drei Tagen.«
    Â»Wohin?«
    Â»Ich weiß es nicht. Das musst du deinen Vater fragen.«
    Im Kies inmitten des Hofes waren deutliche Spuren (hier stand der Laster) , und als Darek Herrn Havlik über die Schulter schaute, sah er sie deutlich vor Augen (als Erstes Herkules, getreu seinem Charakter, gleich hinter ihm der wunderschöne, dunkle Krokant) . Zögernd stiegen sie die Rampe hoch, blickten sich ein letztes Mal fragend um, um dann getrieben von den ungeduldigen Rufen der Männer im Schlund des LKW-Riesen mit dem romantischem Logo auf der Seite zu verschwinden (Kapazität zehn bis zwölf, je nach Größe) .
    Darek hatte die Szene so plastisch vor Augen, dass er versucht war, scharf zu pfeifen, um die Pferde aufzuscheuchen. Wenn er vor drei Tagen hier gewesen wäre, hätte er es getan. Er hätte sie daran gehindert, einzusteigen, er hätte sie über die Straße gejagt, damit sie zwischen den Bäumen auseinanderliefen – weg, weit weg, den Berg hinauf! Er hätte gern zugesehen, wie jemand sie am Hang einfing. Warum war er nicht da gewesen, verdammt? Alles war seine Schuld! Warum
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