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Optimum 1

Optimum 1

Titel: Optimum 1
Autoren: V Bicker
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T-Shirts, eine ganz flüchtige Berührung, die das größere Mädchen eigentlich überhaupt nicht spüren konnte.
    »Janina, beruhige dich!«, flüsterte sie. Sie wusste nicht, ob die Worte notwendig waren, aber sie halfen ihr selbst, sich darauf zu besinnen, was sie eigentlich vermitteln wollte. »Ganz ruhig, Janina.« Als wäre sie ein krankes Pferd oder ein wilder Hund, den es zu beruhigen galt.
    Es funktionierte nicht. Jedenfalls nicht so, wie Eliza sich das vorgestellt hatte. Janina stockte kurz, ihre Augen wurden weit, und ihre Muskeln entspannten sich, dann jedoch kehrten die Wut und die Panik in ihre Züge zurück, und sie verstärkte ihren Griff um den Hals des Unterstuflers wieder.
    Doch der winzige Augenblick, in dem sie nachgelassen hatte, reichte Rica. Kaum hatte sie gesehen, dass Janina unaufmerksam wurde, schoss sie nach vorn und sprang das Mädchen an. Sie klammerte sich an ihre Schultern und riss sie mit ihrem ganzen Gewicht und Schwung rückwärts. Janina keuchte, taumelte ein paar Schritte nach hinten und hörte endlich auf, wie am Spieß zu brüllen. Sie ließ den Unterstufler fallen und rang mit wild rudernden Armen um ihr Gleichgewicht, bevor sie endgültig umkippte und Rica dabei unter sich begrub.
    Der kleine Junge fiel vorwärts, und Eliza gelang es gerade noch, vorzuspringen und ihn festzuhalten, bevor er auf dem Boden aufschlug. Zuerst schien er nicht mal bei Bewusstsein zu sein, und Eliza fürchtete, dass er wirklich tot war, doch dann merkte sie, wie sich seine schmale Brust unter ihren Fingern leicht hob und senkte. Gleich darauf schlug er die Augen auf und begann, fürchterlich zu husten. Über seine Wangen rannen Ströme von Tränen, seine Nase lief, und vor lauter Schluchzen brachte er kein Wort hervor. Eliza konnte nichts anderes tun, als auf dem Boden zu kauern, ihn fest in ihren Armen zu halten und zu beruhigen. Ganz unbewusst kamen ihr dabei wieder die Waldbilder in den Sinn, die Stille und der Sonnenschein über den trockenen Blättern und der Geruch nach Herbst.
    »Alles wird gut, alles wird gut«, wiederholte sie immer wieder und strich beinah mechanisch über seine kurzen Haare. Am Rande ihres Bewusstseins nahm sie wahr, wie sich die Klassenkameraden des Jungen um sie scharten, hörte ihre hellen, aufgeregten Stimmen, bemerkte, wie Janina und Rica sich auf die Beine kämpften und gegenseitig wütend anfunkelten, hörte eilige Schritte näher kommen – aber all das konnte sie gar nicht richtig berühren. Sie saß da, dachte an den Wald, hielt den Jungen fest und konzentrierte sich darauf, seinen Atem zu kontrollieren und seine Tränen zum Versiegen zu bringen.
    * * *
    »Was ist hier los?«
    Die Stimme drang nur wie durch Watte an Ricas Ohren, und einen Moment lang glaubte sie, nicht antworten zu müssen. Gleich darauf blickte sie auf, direkt in das Gesicht von Frau Jansen, die vor ihr und dem älteren Mädchen aufragte wie ein Riese. Hastig rappelte Rica sich auf, klopfte sich Dreck von der Hose und warf einen schnellen Blick auf ihre Sparringpartnerin und auf Eliza, die noch immer mit dem Jungen auf dem Boden kauerte. Sie hatte einen seltsam abwesenden Gesichtsausdruck angenommen, als sei sie zusammen mit dem Jungen in einer Seifenblase eingeschlossen, die nichts von der Außenwelt an sie heranließ.
    »Dieses Mädchen hat mich angegriffen!« Die Oberstufenschülerin hatte sich ebenfalls erhoben und zeigte nun anklagend auf Rica. Ihre Unterlippe war aufgesprungen, und Blut lief in einem feinen Faden ihr Kinn hinunter, aber sie beachtete es gar nicht. Es ließ sie sehr wild aussehen.
    »Ich habe gar nichts gemacht, nur diesem Jungen da geholfen«, protestierte Rica und zeigte auf Eliza und den Unterstufler. Die beiden schienen noch immer nichts von all dem Krach um sie herum mitzubekommen. Eliza strich dem Jungen übers Haar, als streichele sie einen Hund oder ein sehr kleines Kind. Der Junge hustete ab und zu, sah aber längst nicht mehr so panisch aus wie zuvor. Er kauerte vor Eliza, hatte den Blick fest auf sie gerichtet und wirkte, als sei er vollkommen auf sie konzentriert. Er sieht aus wie unter Drogen.
    »Er hat angefangen. Hat mir das Tablett aus der Hand – « Doch Rica achtete nicht mehr auf die Worte der Oberstuflerin. Sie betrachtete Eliza. Was um Himmels willen tat die da mit dem Jungen? Wie hatte sie ihn so ruhig bekommen? Und wie hatte sie vorhin die Oberstuflerin abgelenkt? Denn Rica hätte sie niemals überraschen können, wenn sie nicht unaufmerksam gewesen
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