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Opferlämmer

Opferlämmer

Titel: Opferlämmer
Autoren: Jeffery Deaver
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hatte darauf bestanden, dass er ausging.
    »Denk an die Sperrstunde«, hatte er ihn angeherrscht. »Mitternacht. «
    »Lincoln, ich werde früher zurück sein als …«

    »Nein. Du kommst erst nach Mitternacht. Es handelt sich um eine negative Sperrstunde.«
    »Das ist doch verrückt. Ich bleibe hier…«
    »Ich schwöre, ich werde dich feuern, falls du es wagst, früher wieder hier zu sein.«
    Der Betreuer musterte ihn prüfend. »Okay«, sagte er dann. »Danke.«
    Rhyme hatte keine Zeit für Dankbarkeit und ignorierte Thom von da an. Stattdessen machte er sich daran, am Computer die Beweismittellisten zu organisieren. Sie würden an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet und im Prozess gegen den Uhrmacher verwendet werden. Am Ende würde Logan für eine beeindruckende Vielfalt von Verbrechen ins Gefängnis gehen, darunter zahlreiche minutiös geplante Morde. Vermutlich würde man ihn sogar zum Tode verurteilen, doch im Gegensatz zu Kalifornien und Texas betrachtete New York ein solches Urteil als eine Art peinliches Muttermal mitten auf der Stirn. Wie Rhyme schon zu Rodolfo Luna gesagt hatte, rechnete er nicht mit der Hinrichtung des Mannes.
    Auch andere Gerichtsbezirke würden um Logan wetteifern. Doch er war in New York gefasst worden; sie mussten sich hinten anstellen.
    Insgeheim war Rhyme mit einer lebenslangen Haftstrafe durchaus zufrieden. Wäre Logan heute hier getötet worden – weil er zum Beispiel nach einer Waffe gegriffen hätte, um Sachs oder Sellitto zu erschießen –, wäre das ein sauberer, ehrlicher Schlussstrich gewesen. Dass Rhyme ihn gefangen hatte und er den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen würde, war ebenfalls Gerechtigkeit genug. Eine tödliche Injektion erschien dagegen billig. Beleidigend. Und Rhyme wollte nicht daran beteiligt sein, dass ein Mensch letzten Endes auf einer Bahre festgeschnallt wurde.
    Er genoss die Einsamkeit und diktierte nun mehrere Seiten
Tatortberichte. Manche Beamten wurden dabei lyrisch, dramatisch oder poetisch. Das war nicht Rhymes Art. Seine Sprache war nüchtern und prägnant – Gusseisen, keine Holzschnitzereien. Er las alles noch einmal durch und war zufrieden, obwohl manche Lücken ihn ärgerten. Es fehlten noch einige Analyseergebnisse. Doch auch Ungeduld war in seinen Augen eine Sünde, wenngleich keine so schwere wie Nachlässigkeit. Der Fall würde nicht darunter leiden, dass der Abschlussbericht noch einen oder zwei Tage auf sich warten lassen würde.
    Gut, dachte er. Es bleibt noch was zu tun – wie immer –, aber gut.
    Rhyme schaute sich im Labor um. Mel Cooper hatte sorgfältig aufgeräumt. Der Techniker befand sich nun im Haus seiner Mutter in Queens, wo er wohnte. Vielleicht hatte er auch nur kurz nach Mom gesehen und war dann mit seiner skandinavischen Freundin ausgegangen, um in irgendeinem Ballsaal in Midtown die Tanzfläche im Sturm zu erobern.
    Der Kriminalist hatte leichte Kopfschmerzen wie schon zuvor an jenem Tag. Sein Blick fiel auf das Regal mit den Medikamenten. Dort stand eine Flasche Clonidin. Das gefäßerweiternde Mittel hatte ihm vorhin wahrscheinlich das Leben gerettet. Falls er jetzt einen weiteren Anfall erlitt, wäre er wohl ohne jede Chance. Die Flasche stand nur wenige Zentimeter von seinen Händen entfernt. Doch es hätten genauso gut Meilen sein können.
    Rhyme musterte die vertrauten Tafeln mit Sachs’ und Mel Coopers Handschrift darauf. Es gab verschmierte und durchgestrichene Stellen, um falsche Formulierungen, Schreibfehler oder Irrtümer zu korrigieren.
    Ein Zeichen dafür, wie Kriminalfälle sich nun mal stets entwickelten.
    Dann betrachtete er die Ausrüstung: den Dichtegradienten, die Pinzetten und Phiolen, die Handschuhe, die Glaskolben,
die Hilfsmittel zur Partikelgewinnung und die Prunkstücke der Sammlung: das Rasterelektronenmikroskop und das Kombigerät aus Gaschromatograph und Massenspektrometer, leise, groß und sperrig. Er dachte an die vielen, vielen Stunden, die er mit diesen Maschinen und ihren Vorgängern zugebracht hatte, erinnerte sich an die Betriebsgeräusche und die Gerüche, wenn er eine Probe ins feurige Herz des Chromatographen gab, um zu erfahren, was eine rätselhafte Substanz in Wahrheit war. Dabei gab es oft einen Zwiespalt: Wenn man eine Spur opferte, um durch ihre Analyse die Identität oder den Aufenthaltsort eines Täters zu ermitteln, riskierte man, den Fall vor Gericht zu gefährden, denn die Probe existierte danach nicht mehr.
    Lincoln Rhyme entschied sich stets für
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