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Oper und Drama

Oper und Drama

Titel: Oper und Drama
Autoren: Richard Wagner
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gerade die Kunst, wenn sie in diesem neuen Leben das ist, was sie sein soll, auf jene Umgestaltung einen ungemein wichtigen Einfluß äußern wird –, so müssen wir erkennen, daß ein solcher Einfluß derjenigen Kunst am ergiebigsten entsprießen muß, die in ihrem Ausdrucke sich auf eine Sprache gründet, deren Zusammenhang mit der Natur dem Gefühle jetzt schon noch kenntlicher ist, als es bei der italienischen und französischen Sprache der Fall ist. Jene vorahnende Entwickelung des Einflusses des künstlerischen Ausdruckes auf den des Lebens kann zunächst nicht von Kunstwerken ausgehen, deren sprachliche Grundlage in der italienischen oder französischen Sprache liegt, sondern von allen modernen Opernsprachen ist nur die deutsche befähigt, in der Weise, wie wir es als erforderlich erkannten, zur Belebung des künstlerischen Ausdruckes verwandt zu werden, schon weil sie die einzige ist, die auch im gewöhnlichen Leben den Akzent auf den Wurzelsilben erhalten hat, während in jenen der Akzent nach unwillkürlicher naturwidriger Konvention auf – an sich bedeutungslose – Beugungssilben gelegt wird.
    Das über alles wichtige Grundmoment der Sprache also ist es, daß uns für den Versuch eines vollkommen zu rechtfertigenden, höchsten künstlerischen Ausdruckes im Drama auf die deutsche Nation hinweiset; und wäre es dem künstlerischen Willen allein möglich, das vollendete dramatische Kunstwerk zutage zu fördern, so könnte dies jetzt nur in deutscher Sprache geschehen. Was diesen künstlerischen Willen als einen ausführbaren bedingt, liegt zunächst aber in der Genossenschaft der künstlerischen Darsteller : betrachten wir die Wirksamkeit dieser auf deutschen Bühnen. –
     
    Italienische und französische Sänger sind gewohnt, nur musikalische Kompositionen vorzutragen, die auf ihre Muttersprache verfaßt sind: so wenig diese Sprache in einem vollkommen naturgemäßen Zusammenhange mit der musikalischen Melodie stehen mag, so ist doch eines bei dem Vortrage italienischer oder französischer Sänger unverkennbar, – die genaue Beachtung und Kundgebung der Rede – als solcher. Ist dieses bei den Franzosen noch ersichtlicher als bei den Italienern, so muß doch jedem die Deutlichkeit und Energie auffallen, mit der auch diese die Worte aussprechen, und dies namentlich in den drastischen Phrasen des Rezitatives. Vor allem aber muß dies eine an beiden anerkannt werden, daß sie ein natürlicher Instinkt davor bewahrt, jeden Sinn der Rede durch einen falschen Ausdruck zu entstellen.
    Deutsche Sänger sind dagegen gewohnt, zum überwiegend größten Teile nur in Opern zu singen, die aus der italienischen oder französischen Sprache in die deutsche übersetzt sind. Bei diesen Übersetzungen ist nie weder ein dichterischer noch musikalischer Verstand tätig gewesen, sondern sie wurden von Leuten, die weder Dichtkunst noch Musik verstanden, im geschäftlichen Auftrage ungefähr so übersetzt, wie man Zeitungsartikel oder Kommerznotizen überträgt. Gemeinhin waren diese Übersetzer vor allem nicht musikalisch; sie übersetzten ein italienisches oder französisches Textbuch für sich, als Wortdichtung nach einem Versmaße, welches als sogenanntes jambisches unverständigerweise ihnen dem gänzlich unrhythmischen des Originales entsprechend vorkam, und ließen diese Verse von musikgeschäftlichen Ausschreibern unter die Musik so setzen, daß die Silben den Noten der Zahl nach zu entsprechen hatten. Die dichterische Mühe des Übersetzers hatte darin bestanden, die gemeinste Prosa mit läppischen Endreimen zu versehen, und da diese Endreime selbst oft peinliche Schwierigkeiten darboten, war ihnen – den in der Musik fast gänzlich unhörbaren – zuliebe auch die natürliche Stellung der Worte bis zur vollsten Unverständlichkeit verdreht worden. Dieser an und für sich häßliche, gemeine und sinnverwirrte Vers wurde nun einer Musik untergelegt, zu deren betonten Akzenten er nirgends paßte: auf gedehnte Noten kamen kurze Silben, auf gedehnte Silben aber kurze Noten; auf die musikalisch betonte Hebung kam die Senkung des Verses, und so umgekehrt. [Fußnote: Ich hebe diese gröbsten Verstöße heraus, nicht weil sie in Übersetzungen gerade immer vorkamen, sondern weil sie – ohne Sänger und Hörer zu stören – oft vorkommen konnten: ich bediene mich daher des Superlatives, um den Gegenstand nach seiner kenntlichsten Physiognomie zu bezeichnen. ] Von diesen gröbsten sinnlichen Verstößen schritt die
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