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Oper und Drama

Oper und Drama

Titel: Oper und Drama
Autoren: Richard Wagner
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Steckenpferde vorzuführen, wo dieser imstande war, ein wirkliches Roß zu besteigen, da er wußte, daß der Reiter die Zügel tüchtig zu handhaben verstand – diese musikalischen Zügel, die das Roß in der wohlgeebneten Opernreitbahn schulgerecht hin- und herlenken sollten, und ohne die weder Musiker noch Dichter es zu besteigen sich getrauten, aus Furcht, es setze hoch über die Einhegung hinweg und liefe in seine wilde, herrliche Naturheimat fort.
    So gelangte der Dichter neben dem Komponisten allerdings zu steigender Bedeutung, aber doch nur genau in dem Grade, als der Musiker vor ihm her aufwärtsstieg und er diesem nur folgte; die streng musikalischen Möglichkeiten allein, die der Komponist ihm wies, hatte der Dichter einzig als maßgebend für alle Anordnung und Gestaltung, ja selbst Stoffauswahl im Auge; er blieb somit, bei allem Ruhm, den auch er zu ernten begann, immer gerade nur der geschickte Mann, der es vermochte, den »dramatischen« Komponisten so entsprechend und nützlich zu bedienen. Sobald der Komponist selbst keine andere Ansicht von der Stellung des Dichters zu ihm gewann, als er sie der Natur der Oper nach vorfand, konnte er sich selbst auch nur für den eigentlichen verantwortlichen Faktor der Oper ansehen, und so mit Recht und Fug auf dem Standpunkte Spontinis, als dem zweckmäßigsten, stehenbleiben, da er sich die Genugtuung geben durfte, auf ihm alles das zu leisten, was irgend dem Musiker möglich war, wenn er der Oper, als musikalischem Drama, einen Anspruch als gültige Kunstform gewahrt wissen wollte.
    Daß im Drama selbst aber Möglichkeiten lagen, die in jener Kunstform – wenn sie nicht zerfallen sollte – gar nicht auch nur berührt werden durften, dies stellt sich uns jetzt wohl deutlich heraus, mußte dem Komponisten und Dichter jener Periode aber vollständig entgehen. Von allen dramatischen Möglichkeiten konnten ihnen nur diejenigen aufstoßen, die in jener ganz bestimmten und ihrem Wesen nach durchaus beschränkten Opernmusikform zu verwirklichen waren. Die breite Ausdehnung, das lange Verweilen bei einem Motiv, dessen der Musiker bedurfte, um in seiner Form sich verständlich auszusprechen – die ganze rein musikalische Zutat, die ihm als Vorbereitung nötig war, um gleichsam seine Glocke in Schwung zu setzen, daß sie ertöne und namentlich so ertöne, daß sie einem bestimmten Charakter ausdrucksvoll entspreche –, machten es von je dem Dichter zur Aufgabe, nur mit einer ganz bestimmten Gattung von dramatischen Entwürfen sich zu befassen, die in sich Raum hatten für die gedehnte, geschraubte Gemächlichkeit, die dem Musiker für sein Experimentieren unerläßlich war. Das bloß Rhetorische, phrasenhaft Stereotype in seinem Ausdrucke war für den Dichter eine Pflicht, denn auf diesem Boden allein konnte der Musiker Raum zu der ihm nötigen, in Wahrheit aber gänzlich undramatischen, Ausbreitung erhalten. Seine Helden kurz, bestimmt und voll gedrängten Inhaltes sprechen zu lassen, hätte dem Dichter nur den Vorwurf der Unpraktikabilität seines Gedichtes für den Komponisten zuziehen müssen. Fühlte der Dichter sich also notgedrungen, seinen Helden diese banalen, nichtssagenden Phrasen in den Mund zu legen, so konnte er auch mit dem besten Willen von der Welt es nicht ermöglichen, den so redenden Personen wirklichen Charakter und dem Zusammenhange ihrer Handlungen das Siegel voller dramatischer Wahrheit aufzudrücken. Sein Drama war immer mehr nur ein Vorgeben des Dramas; alle Konsequenzen der wirklichen Absicht des Dramas zu ziehen, durfte ihm gar nicht beikommen. Er übersetzte daher, strenggenommen, eigentlich auch nur das Drama in die Opernsprache, so daß er meistens sogar nur längst bekannte und auf der Bühne des gesprochenen Schauspieles bis zum Überdruß bereits dargestellte Dramen für die Oper bearbeitete, wie dies in Paris namentlich mit den Tragödien des Théatre français der Fall war. Die Absicht des Dramas, die hiernach innerlich hohl und nichtig war, ging offenkundig somit immer nur in die Intentionen des Komponisten über; von diesem erwartete man das, was der Dichter von vornherein aufgab. Ihm – dem Komponisten – mußte daher auch allein nur zufallen, dieser inneren Hohlheit und Nichtigkeit des ganzen Werkes, sobald er sie wahrnahm, abzuhelfen; er mußte sich also die unnatürliche Aufgabe zugeteilt sehen, von seinem Standpunkte aus, vom Standpunkte desjenigen, der die vollkommen dargelegte dramatische Absicht nur vermöge des ihm zu
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