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Onkel Wanja kommt

Titel: Onkel Wanja kommt
Autoren: W Kaminer
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war ein gurkenähnliches Land, der Onkel reiste daher stets parallel zum Äquator. Nach seiner Theorie hatte die Form eines Landes auch Einfluss auf die Charaktereigenschaften seiner Bewohner. Danach kennen die Bewohner eines tomatenähnlichen Landes keinerlei innere Zerrissenheit, sie präsentieren sich als konsequent und haben immer eine Meinung, egal was passiert. Ein Mensch in einem tomatenähnlichen Land wird mit einem Maß für alles gemessen, er kann beispielsweise nicht ein schlechter Liebhaber, aber ein guter Politiker sein. Einmal gut, immer gut, sonst muss er gehen. Ein tief denkender Philosoph darf nicht gleichzeitig ein enthusiastischer Trinker sein, ein begabter Dichter niemals ein Geschäftsmann. In einem gurkenähnlichen Land dagegen sind die Menschen von Natur aus zwiespältig und unvorhersehbar. Sie können ihren Nächsten gleichzeitig retten und ihn treten, sein Haus anzünden und ins Feuer rennen, einen Untergehenden ans Ufer zerren und ihn, wenn er zu sich kommt, wieder ins Wasser schmeißen. In tomatenähnlichen Ländern sind die Bürger ordnungsliebend, in gurkenähnlichen ist es dafür selten langweilig.
    Mein Onkel hatte alle Eigenschaften der Bewohner eines gurkenähnlichen Landes – er konnte sich sein Leben lang nicht festlegen. Er hat immer getauscht, was ihm in die Finger kam, wahrscheinlich vom Gefühl getrieben, etwas sehr Wichtiges verpasst, übersehen zu haben. Als Kind tauschte er Briefmarken mit chinesischen Sportlern gegen Briefmarken mit Vögeln, Bücher gegen andere Bücher, eine Sportart gegen eine andere. Später als Erwachsener tauschte er einen Job gegen einen anderen Job und eine Frau gegen eine andere Frau.
    In der Sowjetunion war Tauschen Volkssport. Alles wurde gegen alles getauscht, Katzen gegen Mäntel, Platten gegen Drogen, Brillen gegen Fotoapparate, Gitarre gegen Pferd. Diese Angewohnheit, Hans im Glück zu spielen, kommt, denke ich, daher, dass es im Sozialismus zu wenig Möglichkeiten zum Geschäftemachen gab. Spekulieren war verboten, tauschen aber erlaubt. Und alle haben getauscht wie verrückt. Das wichtigste Tauschobjekt in der Sowjetunion war die Wohnfläche. Die meisten bekamen ihre Wohnung vom Staat, man konnte sie weder vermieten noch verkaufen, aber man konnte sie tauschen ohne Ende. Das Land war lang, groß und relativ dicht bebaut, alle Wohnungen waren mehr oder weniger gleich geschnitten, und die Sowjetbürger waren äußerst reiselustig. Sie annoncierten schon beim Einzug ihre Bereitschaft für den nächsten Aufbruch.
    An einem richtig fetten Wohnungstausch waren normalerweise bis zu sieben oder sogar acht Haushalte beteiligt. Die einen wollten eine Zweiraumwohnung gegen eine Wohnung mit Balkon tauschen, die anderen suchten gerade so eine Zweiraumwohnung, hatten allerdings nur Zimmer ohne Balkon, dafür aber im dritten Stock. Also suchten sie jemanden mit Balkon, der in den dritten Stock wollte. Und der wollte seinerseits ein Küchenfenster zur Südseite, also suchten sie alle zusammen jemanden mit einem solchen Fenster. Und so zog sich der Tausch immer weiter hin, bis alle Interessen vertreten waren. Dann versammelten sich die Betreffenden in einem Restaurant, feierten den Neuanfang, und ein paar Monate später fingen die meisten bereits wieder an, einen neuen Ringtausch ins Auge zu fassen. Es war wie eine Sucht. Anfangs wollten die meisten durch diese Tauschgeschäfte bloß ihre Wohnverhältnisse verbessern, danach konnten sie sich aber nicht mehr bremsen. Aus Abenteuerlust oder Trägheit tauschten sie immer weiter, mal mit Gewinn, mal mit Verlust.
    Mein Onkel tauschte dreißig Jahre lang wie ein Wahnsinniger. In Moskau hatte er beispielsweise angeblich ein hübsches Zimmer in einer Wohnung, in der noch weitere sechs Familien lebten, und jeder ging mit seinem eigenem Klodeckel in die Toilette. Das ärgerte meinen Onkel, also fuhr er nach Grodno. Ein altes russisches Sprichwort besagt, dass 3000 Kilometer für einen zähen Hund kein Umweg sind. In Grodno hatte er keine Nachbarn, aber die Stadt gefiel ihm nicht. Er wollte aufs Land, bessere Luft, ein freies Feld. Also tauschte er kurzerhand seine Wohnung in Grodno gegen ein halbes Haus in Krasnodar, ohne sich den neuen Ort vorher angesehen zu haben. Das halbe Haus erwies sich als Gartenhäuschen, das mitten in einem Kartoffelfeld stand. In der anderen Hälfte des Hauses lagerte Dünger, es roch nicht sonderlich gut, und mein Onkel tauschte leichten Herzens seine Haushälfte gegen ein Zimmer in
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