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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition)
Autoren: Hermann Kant
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ich mich zwecks Druckerarbeit bei ihr befand. Nach umständlicher Fahrt und aus umständlichem Grund, der Stalin hieß. Zwecks Druckerarbeit oder Setzerarbeit oder beiden, also zwecks der zweifachen Tätigkeit, die in meinem Gewerbe ein Schweizerdegen verrichtet.
    Der gut daran tut, diese ehrwürdige Berufsbezeichnung nicht an jedem Ort in den Mund zu nehmen. Weil sein kann, man schlägt ihm gewaltig an die Backen. Einfach aus Unsicherheit, die aus Unklarheit springt: Will dieser Jungmensch, der sich Schweizerdegen nennt, nun kein Deutscher mehr sein? Spielt sich der Kerl als Schwertträger auf? Sucht er uns weiszumachen, er habe nicht unterm Hitlerhelm, sondern mit Pluderhosen und Federbusch als Papstgardist gedient? – Ich werd dir bei Schweizerdegen! Noch einmal: Beruf? – Drucker. Drucker und Setzer. – Na also, und komme uns nicht ein zweites Mal mit deinem Schweizermesser!
    Wie so manches, hatte ich zur fraglichen Zeit Grimms Deutsches Wörterbuch nicht zur Hand. Hätte ich es gehabt, hätte ich sagen können: In Grimms Wörterbuch ist das Wort in zweierlei Bedeutung aufgeführt, nämlich als »1) waffe der schweizerischen landsknechte für den nahkampf« und »2) in buchdruckereien einer, der sowol setzer wie drucker ist.« – Aber weil jetzt weder die Druckerei noch der berühmte Drucker Litfaß an der Reihe sind, sondern Stalin und Agnieszka, bleibe ich im Kinderheim und bei den werweißwie verstreuten Druckwesensteilen.
    »Celem roboty jest«, sagte die Begleiterin und fügte das Wort »porządek«, welches Ordnung bedeutet, hinzu. Falls sie hoffte, mich zu erschrecken, war diese Hoffnung eitel. Es handelte sich nicht um den ersten Berg aus versprengten Einzelheiten, auf den ich traf, und auch an die Hoffnung, ich werde ihm eine Ordnung stiften, war ich einige Male geraten. Wohl zählt Chaos zu den unzählbaren Wörtern; doch behaupte ich, im Lande Polen begegnete ich Chaosen zuhauf. Leider wurde von so gut wie jedem vermutet, ich sei für seine Regulierung schon deshalb geeignet, weil mein schuldhaft persönlicher Bezug zu dem jeweiligen Wirrwarr außer Frage stehe.
    Die Pistole am Gürtel meiner Begleiterin beeindruckte mich,aber noch beeindruckender war die Person in diesem Gürtel. Er war auf das letzte Loch geschnallt. Zwei Handbreit nach oben oder unten wäre er mit dem ersten nicht ausgekommen. Kein Gedanke, sage ich. Aber ein schöner Gedanke. Einer, gegen den die Pistole gemeint war.
    »Jestem wasz komendant«, sagte die Frau, und ich verstand, sie sei mein Kommandant. Zwar war sie ersichtlich eine Kommandantin, aber sie hatte sich gegürtet und gewappnet, mich von dieser Idee auf keine weitere kommen zu lassen. Kein Zweifel, sie hielt mich für den Drucker, der ich war, und wußte nichts von mir als Stalins Ideengefäß. Man hatte ihr einen Kerl geschickt, das Gerümpel zur Ordnung zurückzurufen; mehr mußte sie nach Ansicht der Begleiter-Leiter nicht wissen.
    So brauchte ich im Lager nur zu sagen, ich sei auf Kommando gewesen. »Ihr kennt das: Harte Arbeit, strenge Bewachung, bemessenes Essen und kaum ein deutsches Wort.« – »Kein Wort von Ihrer Reise«, sagte der Begleiter. Ich glaube nicht, daß er von deren anderen Teilen wußte. Er zeigte sich nicht neugierig und wollte nichts von meinem Umgang mit verstreuten Lettern wissen. Zum Gürtel der Kommandantin hatte er keine Fragen.
    Ich hätte wenig Antwort gewußt. Immer noch nicht habe ich beschreiben gelernt, wie unmorsch es zugeht mit einer, die just vor Augenblicken eine Pistole am Koppel trug. Und einen militärischen Gurt um die zivile Taille. Und ein Hemd auf dem Leib. Nach wie vor scheue ich die Vermutung, die bewehrte Kindergärtnerin könne gedacht haben, was ich bei ihrem Anblick dachte. Ich dachte O Gott! , und hernach sagte ich es wohl einige Male. Sie schwieg, als wolle sie nichts an Sprache vergeuden. Auch kannte sie außer der deutschen Vokabel Bildungsreise keine weiteren. Aber auszudrücken wußte sie sich.
    So sehr ich zu erwidern suchte, so sehr nahm es mich mit. Zu Zeiten schien ich gänzlich hohl, doch schon der Gedanke an die Gardistin füllte mich auf. Derart im Übermaß, daß ich bis zum Abend meine Not mit mir hatte. Zum Glück waren die abertausend Lettern, aus denen ich einige Schriften machen sollte, so ineinander verwirbelt, daß es mir ebensoviel Technikerkunst wie Puzzlergeduld abverlangte.
    Ganz mich abzulenken, gelang nicht einmal meinem Auftrag. Ob ich nun Fraktur oder Antiqua sortierte, lief doch jede
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