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Ohne dich kein Sommer - Roman

Ohne dich kein Sommer - Roman

Titel: Ohne dich kein Sommer - Roman
Autoren: Jenny Han
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der Ruf eines Vogels. Bald dürfte Conrad mit seiner letzten Prüfung fertig sein.
    »Hübscher Pulli«, sagte Jeremiah.
    »Danke. Ich wollte immer schon einen von Brown.«
    Jeremiah nickte. »Ich weiß.«
    Ich spielte mit der Kette, wand sie um meinen kleinen Finger. »Ich frag mich …« Den Rest meines Satzes ließ ich in der Luft hängen. Ich wartete darauf, dass Jeremiah mich drängen würde weiterzusprechen. Aber er tat es nicht. Er sagte gar nichts.
    Er schwieg.
    Seufzend schaute ich aus dem Fenster und fragte: »Spricht er je von mir? Ich meine, hat er dir gegenüber je irgendwas erwähnt?«
    »Hör auf!«, fuhr Jeremiah mich an.
    »Womit?« Verwirrt drehte ich mich zu ihm um.
    »Mich danach zu fragen. Nach ihm zu fragen.« Jeremiahs Stimme war rau und leise, und diesen Tonfall kannte ich nicht von ihm, weder mir gegenüber noch überhaupt. Seine Kiefermuskeln zuckten heftig.
    Ich machte mich ganz klein auf meinem Sitz. Es war, als hätte er mich geschlagen. »Was ist denn los mit dir?«
    Er setzte an, etwas zu sagen, vielleicht, um sich zu entschuldigen, vielleicht auch nicht, brach aber sofort wieder ab. Stattdessen beugte er sich vor und zog mich an sich. Es war, als würde ich von der Schwerkraft angezogen. Er küsste mich heftig, und seine Haut war rau und kratzig an einer Wange. Wahrscheinlich hat er heute Morgen keine Zeit zum Rasieren gehabt , schoss mir noch durch den Kopf, dann küsste ich ihn auch. Meine Augen waren geschlossen, meine Finger strichen durch sein weiches blondes Haar. Er küsste mich, als wäre er ein Ertrinkender und ich die Luft. Es war leidenschaftlich und verzweifelt zugleich und anders als alles, was ich je erlebt hatte.
    Das also war gemeint, wenn jemand sagte, die Welt habe aufgehört, sich zu drehen. Als gäbe es keine Welt außerhalb dieses Autos, dieses Moments, so fühlte es sich an. Es gab nur uns.
    Als er mich losließ, waren seine Pupillen riesig, sein Blick verschwommen. Er zwinkerte, dann räusperte er sich. »Belly«, sagt er mit belegter Stimme. Sonst sagte er nichts, nur meinen Namen.
    »Kann es sein, dass du mich immer noch –« Magst. Willst.
    Heiser sagte er: »Ja. Ja. Immer noch.«
    Und dann küssten wir uns wieder.
    Er musste irgendein Geräusch gemacht haben, denn wir schauten beide im selben Moment auf und fuhren auseinander. Vor uns stand Conrad und sah uns direkt an. Unmittelbar vor dem Auto war er stehen geblieben. Er war ganz bleich.
    »Nein, nein, lasst euch nicht stören.«
    Er machte ruckartig kehrt und ging weg. In stummem Entsetzen starrten Jeremiah und ich einander an. Im nächsten Moment war meine Hand auch schon am Türgriff, und ich sprang hinaus, ohne einen Blick zurückzuwerfen.
    Ich rannte hinter ihm her und rief seinen Namen, doch Conrad drehte sich nicht um. Erst als ich ihn am Arm packte, sah er mich endlich an, und in seinen Augen war so viel Hass, dass ich erschrocken zusammenfuhr. Und doch – war es nicht irgendwie auch das, was ich gewollt hatte? Ihm so wehzutun, wie er mir immer wehtat? Oder vielleicht war es auch etwas anderes: ihn dazu zu bringen, dass er etwas anderes für mich empfand als Mitleid oder Gleichgültigkeit. Dass er überhaupt irgendetwas empfand, egal was.
    »Jetzt also auf einmal Jeremiah?« Es hatte wohl ironisch klingen sollen, grausam, und das tat es auch, aber gleichzeitig klang es gequält. So als wäre ihm die Antwort wichtig.
    Was mich froh machte. Und traurig.
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Spielt es irgendeine Rolle für dich?«
    Er starrte mich an, und dann beugte er sich vor und berührte die Kette, die ich am Hals trug. Den ganzen Tag über war sie unter meinem T-Shirt verborgen gewesen.
    »Wenn es Jeremiah ist, wieso trägst du dann meine Kette?«
    Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen. »Ich habe sie gefunden, als wir die Sachen in deinem Zimmer zusammengepackt haben. Das hat nichts zu bedeuten.«
    »Du weißt, was es bedeutet.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein.« Aber natürlich wusste ich es. Ich erinnerte mich noch gut daran, wie er mir den Begriff der Unendlichkeit erklärt hatte. Ihre Unmessbarkeit. Die unaufhörliche Aneinanderreihung von Sekunden. Er hatte den Anhänger für mich gekauft. Er wusste, was das bedeutete.
    »Dann gib sie zurück.« Er streckte eine Hand aus, und ich sah, dass sie zitterte.
    »Nein«, sagte ich.
    »Sie gehört dir nicht. Ich hab sie dir nie geschenkt. Du hast sie dir einfach genommen.«
    In dem Moment begriff ich endlich. Endlich verstand ich. Es war
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