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Ohne Chef ist auch keine Loesung

Titel: Ohne Chef ist auch keine Loesung
Autoren: Volker Kitz , Manuel Tusch
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heutigen Vormittag bereits 15 weitere dickhalsige und pockenfüßige Patienten angerufen haben, die alle nur »mal eben für
     drei Minuten« dazwischengeschoben werden wollten.
    Wie verbreitet die Egozentrismus-Problematik ist und wie gravierend dabei Sichtweisen auseinanderklaffen können, zeigt ein
     Beispiel aus unserer Coaching-Praxis: Es ging um eine Krisenintervention zwischen einer Vorgesetzten und ihrem Mitarbeiter
     in einer internationalen Bank. Der Mitarbeiter wollte bei allem und jedem mitreden und -gestalten und forderte – kein Scherz
     – nahezu täglich ein halb- bis zweistündiges Gespräch mit seiner Vorgesetzten ein. Regelmäßig wollte er ausführlich darüber
     diskutieren, warum nicht alle seine Vorschläge umgesetzt wurden. Aus seiner Sicht war das nicht viel, gemessen an den zu besprechenden
     Themen und anstehenden Entscheidungen und an all den Ideen, die er hatte. Die Vorgesetzte allerdings war mit diesem Ansinnen
     völlig überfordert und hatte auch schon des Öfteren versucht, freundlich bis sehr direkt klarzustellen, dass dies nicht so
     ohne weiteres umsetzbar sei. Aus irgendeinem Grund war sie mit ihren Argumenten nicht bis zu ihrem Mitarbeiter vorgedrungen,
     und so bat sie in ihrer Erschöpfung und Verzweiflung um externe Hilfe.
    Und hier ergab sich ein ähnliches Bild wie oben in der Arztpraxis: Der Mitarbeiter hatte nicht berücksichtigt, dass seine
     Vorgesetzte außer ihm noch für 42 weitere Mitarbeiter zuständig war, die alle auch gute Ideen und Verbesserungsvorschläge
     hatten und gerne mitreden und -bestimmen wollten. Sie konnte weder alle Vorschläge aufgreifen, noch mit allen ausführlich
     darüber diskutieren, warum welcher Vorschlag nicht übernommen werden konnte. Erst als wir den Mitarbeiter anleiteten, »in
     den Schuhen seiner Chefin zu gehen« – das heißt, sich in ihre Perspektive einzudenken und einzufühlen –, begriff er, dass
     sein Wunsch nach diesem Ausmaß an Teilhabe rein faktisch unmöglich erfüllbar war.
    |45| Bei aller Liebe nicht! Warum wir nie tun, was wir sollen, und nie kriegen, was wir wollen
    Diese Sichtweise macht uns verständlich, dass der Chef ab und zu den Gestaltungsspielraum seiner Leute begrenzen
muss
. Das ist unvermeidlich und sein gutes Recht – sonst wäre der Arbeitsalltag für ihn, seine anderen Angestellten und letzten
     Endes auch Sie selbst einfach nicht mehr praktikabel.
    Das soll aber nicht heißen, dass der Chef einen Freibrief hat, alle immer platt zu walzen, alle Ideen abzubügeln und über
     alle Köpfe hinweg alles im Alleingang zu entscheiden.
    Deswegen ist es jetzt allerhöchste Eisenbahn, dass auch Sie, liebe Mitarbeiter, endlich zu Ihrem Recht kommen: Wir untersuchen
     nun, warum es auch für Ihren Chef selbst wichtig ist, Sie an Entscheidungen teilhaben zu lassen.
    Vor einigen Jahren hatten wir eine ganze Abteilung eines großen Kosmetikkonzerns im Team-Coaching. Ausgangspunkt war, dass
     sich im Laufe der Zeit sogenannte »Missstimmungen« zwischen dem Chef und seinem 26-köpfigen Team ergeben hatten. Eine differenzierte
     Konfliktanalyse erbrachte folgendes Resultat: Der Chef warf seinen Mitarbeitern fehlende Motivation, geringes Engagement und
     mangelnde Verantwortungsübernahme vor. Die Mitarbeiter hingegen beklagten, sie würden nicht ernst genommen, dürften sich und
     ihre Ideen nicht einbringen, und sie hätten den Eindruck, ihr Chef traue ihnen nichts zu. Beide Seiten litten sehr unter der
     Zusammenarbeit.
    Und beide Seiten hatten Recht. Denn dummerweise waren sie gemeinsam in folgenden paradoxen Teufelskreis geraten: Der Chef
     war sehr erfahren und selbstbewusst. Er war ein Mann der Tat, der rasch Dinge durchblickte und gerne im Alleingang Entscheidungen |46| fällte. Durch sein Können und sein beherrschendes Auftreten nahm er seinen Mitarbeitern allerdings jedweden Beteiligungs-
     und Entscheidungsspielraum. Sein Team wiederum fühlte sich deshalb hilflos und überflüssig. Nach kurzem Aufbäumen und der
     vergeblichen Forderung nach mehr Teilhabe reagierten die Mitarbeiter nach und nach mit innerer Kündigung, überließen ihrem
     Vorgesetzten das Feld und zogen sich resigniert zurück. Das Kommende war unvermeidlich: Der Chef bemerkte, oh Wunder, bei
     seinen Leuten Motivationsschwierigkeiten und vermisste ihr Engagement. Er zweifelte (
aus seiner Sicht
völlig zu Recht) an ihrem Verantwortungsgefühl und delegierte gar nichts mehr – und verlangte gleichzeitig von seinen Mitarbeitern,
     sie
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