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Öffnet den Himmel

Öffnet den Himmel

Titel: Öffnet den Himmel
Autoren: Robert Silverberg
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Energie gedeiht.)
    Gesegnet sei das Ultraviolett mit der Reichhaltigkeit der Sonne.
    Gesegnet seien die Röntgenstrahlen, geheiligt Röntgen, der sein Inneres sondierte.
    Gesegnet seien die Gammastrahlen mit all ihrer Macht; gesegnet sei die höchste aller Frequenzen.
    Wir danken Planck tausendmal. Wir danken Einstein tausendmal. Zehntausendmal danken wir Maxwell.
    Mit der Kraft des Spektrums, der Quanten und des heiligen Angström, Friede sei mit euch!

 
1
     
     
     
    Chaos bedeckte das Antlitz der Erde, aber den Mann in der Nichts-Kammer kümmerte das nicht.
    Zehn Milliarden Menschen – oder waren es mittlerweile zwölf Milliarden? – kämpften um ihren Platz an der Sonne. Wolkenkratzer Schossen wie aufsprießende Bohnenranken in den Himmel. Die Marsianer machten Witze darüber. Die Venusier spuckten davor aus. Scharlatan-Kulte gediehen, und in tausend Zellen verbeugten sich die Vorster tief vor ihrem teuflischen blauen Leuchten. Aber all dies hatte im Moment wenig Bedeutung für Reynolds Kirby. Er hatte abgeschaltet. Er war der Mann in der Nichts-Kammer.
    Der Ort seines inneren Friedens befand sich zwölfhundert Meter über den blauen Wassern der Karibik, lag in einem Apartment im hundertsten Stock in Tortola auf den Virgin Islands. Kirby hatte als hoher UN-Beamter das Recht auf Behaglichkeit und Schlummer. Ein recht beachtlicher Batzen seines Gehalts ermöglichte ihm diese oberirdische Fluchtburg. Das Gebäude war ein Turm aus glänzendem Glas, dessen Fundamente sich tief in das Herz der Insel hineinbohrten. Man konnte nicht auf jeder karibischen Insel einen solchen Wolkenkratzer errichten; die meisten von ihnen waren nur flache Scheiben aus abgestorbenen Korallen. Ihnen mangelte es an Substanz, um eine halbe Million Tonnen Gewicht tragen zu können. Bei Tortola war es anders: ein erloschener Vulkan, ein versunkener Berg. Hier konnte man bauen, und hier hatte man gebaut.
    Reynolds Kirby schlief einen erholsamen Schlaf.
    Eine halbe Stunde in der Nichts-Kammer brachte einem die Vitalität wieder. Sie zog das Gift der Erschöpfung aus Körper und Geist. Drei Stunden in der Kammer machten einen schlaff und willenlos. Ein vierundzwanzigstündiger Aufenthalt konnte aus einem Menschen eine seelenlose Puppe machen. Kirby lag in einem warmen Nährbad, mit Stöpseln in den Ohren und Klappen auf den Augen. Transportleitungen versorgten seine Lunge mit Luft. Dieses Zurückkriechen in den Mutterschoß auf Zeit ließ sich mit nichts anderem vergleichen, wenn einem die Welt wieder einmal über war.
    Zehn Minuten vertickten. Kirby dachte nicht an die Vorster. Kirby dachte auch nicht an Nat Weiner, den Marsianer. Und Kirby dachte auch nicht an das Esper-Mädchen, das sich auf der Folterbank gewunden hatte und das er letzte Woche in Kioto gesehen hatte. Kirby dachte überhaupt nicht.
    Eine Stimme schnurrte: „Sind Sie soweit, Freier Bürger Kirby?“
    Kirby war noch nicht soweit. Wer war das schon? Jeder mußte von einem Engel mit flammendem Schwert aus der Nichts-Kammer getrieben werden. Das Nährbad floß blubbernd aus dem Tank. Gummiüberzogene Metallfinger schälten die Klappen von den Augäpfeln. Die Ohren wurden von den Stöpseln befreit. Zitternd lag Kirby einen Moment lang da, ausgestoßen vom Mutterschoß wehrte er sich dagegen, in die Wirklichkeit zurückzukehren. Der Zyklus der Kammer war abgeschlossen; vor Ablauf von vierundzwanzig Stunden konnte sie nicht mehr angestellt werden; und das war auch gut so.
    „Haben Sie gut geruht, Freier Bürger Kirby?“
    Kirby räusperte sich kräftig und rappelte sich auf. Er schwankte und hätte fast das Gleichgewicht verloren. Aber der Robotdiener stand schon bereit, ihn zu stützen. Kirby griff nach einem polierten Arm und hielt sich daran fest, bis der Schwindelanfall vorüber war.
    „Ich habe ganz ausgezeichnet geruht“, erklärte er dem Metallwesen. „Die Rückkehr ist jedesmal ein Jammer.“
    „Das können Sie nicht ernsthaft meinen, Freier Bürger. Sie wissen, daß das einzige wirkliche Vergnügen in einer Begegnung mit dem Leben besteht. Das haben Sie mir selbst gesagt, Freier Bürger Kirby.“
    „Wahrscheinlich habe ich das“, gab Kirby herb zu. Die ganze fromme Philosophie des Roboters setzte sich aus Aussprüchen Kirbys zusammen. Er nahm von dem quadratischen, flachgesichtigen Ding eine Robe entgegen und zog sie sich über die Schultern. Wieder zitterte er. Kirby war ein dürrer Mann, zu aufgeschossen für sein Gewicht. Arme und Beine waren faserig und wie
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