October Daye: Nachtmahr (German Edition)
den Vorgarten und die Straße dahinter. Ich blickte auf meine Hände. Schon hatten sich üble Brandblasen gebildet.
Auf eine Art hatte ich meine Antwort: Die Kinder waren nicht weggelaufen. Sie waren von etwas geholt worden, das Glas zum Brennen brachte und in seinem Kielwasser den Geruch von Asche und Kerzenwachs hinterließ. Zu unser aller Unglück hatte ich nicht die leiseste Ahnung, was das sein konnte. Sicher war ich nur in einem Punkt: Um die Kinder zurückzubekommen, würde mehr nötig sein als ein paar Vermisst-Zettel in der Nachbarschaft aufzuhängen.
»Komm, Spike.« Ich wandte mich zur Tür und winkte dem Kobold zu folgen, als ich den Raum verließ. Erstaunlicherweise kam er tatsächlich mit. Ich schloss die Tür hinter uns, ignorierte meine schmerzenden Hände und begab mich auf einen letzten Blick ins Mädchenzimmer. Es war weitgehend so ähnlich: unordentlich, voller Krimskrams und ohne Anzeichen eines Kampfes. Das Fenster stand allerdings offen, und die frische Luft hatte jede Fährte von der Art, wie ich sie im Jungszimmer entdeckt hatte, verwischt. Falls es sie hier überhaupt gegeben hatte.
Kopfschüttelnd ging ich die Treppe runter zu Stacy, die schon auf mich wartete. Es war undenkbar, ihr zu erzählen, dass ich bereits am Ende meiner Weisheit war, obwohl ich verdammt genau wusste, dass wir die Kinder nirgends finden würden. Nicht ohne wesentlich mehr Macht, als ich besaß. Aber man kann einer Mutter in Panik nicht erzählen, dass ihre Kinder von etwas geholt worden sind, was man weder identifizieren noch benennen kann – das geht nicht. Also tat ich das Nächstbeste.
Ich log. Ich erzählte ihr, die Kinder könnten aus Blödsinn einfach losgewandert sein. Ich erfand eine faule Ausrede, wie ich mir beim falschen Anheben von Spike die Hand verletzt hatte, und verband sie mir selbst unten im zweiten Badezimmer. Der Rosenkobold nahm keinen Anstoß daran oder keine Notiz davon, wie ich seinen Charakter diffamierte. Er war vorbildlich und bereit, mir bei Fuß durchs Haus zu folgen, weigerte sich jedoch, sich zu beruhigen. Ständig blieb er stehen, knurrte irgendein Nichts an, rasselte herausfordernd mit den Dornen. Ich merkte mir die Plätze, wo er stehen blieb, und berührte keine weiteren Fenster. Ich bin lernfähig.
Stacy blieb im Wohnzimmer und hielt Karens Hand. Zwanzig Minuten nach meiner Ankunft hatte sie zwar aufgehört zu weinen, aber sie sah nicht aus, als ob sie sich besser fühlte. Schock kann furchtbar viele Formen annehmen. Ich war selbst geschockt – glücklicherweise auf meine persönliche Art, die sich als Wut manifestiert. Wut kann ich einsetzen, ich verstehe sie. Manchmal hilft sie sogar, mich am Leben zu erhalten.
Wir durchsuchten das ganze Haus und fanden nichts. Ich hatte auch nichts anderes erwartet. Den Spuren vom oberen Stockwerk nach zu urteilen, gab es hier für uns nichts zu finden. Anthony tat nicht mal so, als würde er ernsthaft suchen. Er folgte mir einfach und vertraute darauf, dass ich ihn beschützte. Cassandra versuchte es wenigstens, aber schließlich ging sie zu ihrer Mutter ins Wohnzimmer, nahm Stacys freie Hand und saß schweigend neben ihr.
Mitch hielt mit mir bis zum bitteren Ende durch. Wir durchkämmten das Haus nach irgendeinem Anzeichen dafür, dass seine Kinder noch ihren freien Willen hatten. Als wir die letzte Schublade geleert, den letzten Kleiderschrank durchwühlt hatten, drehte er sich zu mir um, mit einem Ausdruck, der um Hoffnung bettelte: »Toby?«
»Ja?«
»Sie sind nicht hier, oder?«
Ich schaute auf meine Füße, bevor mein Gesicht mich verraten konnte. »Nein, Mitch. Das sind sie nicht.«
»Wo sind meine Kinder, October?«
»Ich weiß es nicht.« Ich blickte auf. »Aber ich werde sie finden.«
»Ich glaube dir ja, dass du es versuchen willst – aber das ist nicht genug. In einer Minute müssen wir meiner Frau sagen, dass sie weg sind. Ich habe deine Hände gesehen.«
»Was?«
»Deine Handflächen waren völlig heil, als du herkamst. Wie hast du dir die Hände verbrannt? Wo sind meine Kinder? « Die letzte Frage kam mit solcher Vehemenz, dass mir zum ersten Mal seit Jahren bewusst wurde, wie groß Mitch eigentlich war. Er gebärdete sich normalerweise nie bedrohlich, aber er war locker einen Kopf größer und gut hundert Pfund schwerer als ich.
Manchmal ist Ehrlichkeit die beste Politik, besonders wenn man es mit jemandem zu tun hat, der einen in Stücke reißen kann, ohne auch nur zu blinzeln. »Ich weiß es nicht, aber sie
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