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Occupy Economics

Occupy Economics

Titel: Occupy Economics
Autoren: Florian Josef Hoffman
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beziehungsweise deren Politik, sondern bei staatlichen Fehlsteuerungen nach der Krise 1929 zu suchen waren, vor allem der Brüning’schen Sparpolitik. Und man übersah auch, dass diese neue Idee von Freiheit, von der man sich Besserung erhoffte, genau dort seit Langem angewandt wurde, wo die Krise, unter der man litt, ihren Ursprung hatte: in den USA.
    Der neue Freiheitsgedanke fiel im Deutschland der Not Anfang der 1930er-Jahre auf fruchtbaren Boden. Der Gedanke wurde später »ordo«-liberal, weil man sich dennoch einen starken Staat zum Schutz der Freiheit wünschte, und noch Ende der 1930er-Jahre »neo«-liberal, weil man darin eine Fortsetzung der liberalen Ideen Adam Smiths sah, allerdings in abgewandelter Form.
    Während der Nazizeit trug die ökonomische Wissenschaft einen Maulkorb, den sie erst wieder nach dem Zweiten Weltkrieg ablegte. Die Sehnsucht der Nachkriegszeit nach Harmonie und innerer Einheit brachte zwei politische Kinder hervor: Zum einen die politische Union von Katholiken und Protestanten in der »Union«, also CDU beziehungsweise CSU, sowie die wirtschaftspolitische Union von Katholiken und Protestanten unter dem Dach des neuen Begriffs der »Sozialen Marktwirtschaft« – Erstere von Pater Hefty im rheinischen Kloster Walberberg ersonnen, Letztere vom Münsteraner Ökonomen Alfred Müller-Armack. Müller-Armack wollte mit »seiner« Union die Vorkriegskonfrontation zwischen Historischer Schule und Freiburger Schule überwinden. Die Folge war jedoch, dass er fatalerweise nicht die schon lange verstorbenen Väter der Sozialen Marktwirtschaft – insbesondere nicht Wilhelm Emmanuel von Ketteler und Gustav von Schmoller – auf den Sockel hob, sondern ihre damals aktuell politisch aktiven Kritiker und Gegner, die Politiker Ludwig Erhard und Franz Böhm und deren geistige Weggefährten Walter Eucken, Wilhelm Röpke und andere. Die Gegner und Kritiker werden bis heute hoch verehrt, während die eigentlichen Vordenker mehr oder weniger totgeschwiegen werden. Vom Begriff der Historischen Schule verabschiedete man sich im modernen Deutschland leicht, weil schon der Begriff »historisch« die Vorstellung von verstaubtem Denken in sich trägt, dabei war mit dem Begriff lediglich die Methode gemeint, auf den Erfahrungen der Vergangenheit aufzubauen.
    Die politisch durchaus wohlgemeinte Unterdrückung der Wahrheit durch Müller-Armack sowie der durchaus überraschende Erfolg des Wirtschaftswunders unter dem liberalen Wirtschaftsminister Ludwig Erhard hatten zur Folge, dass die Historische Schule und ihre Ideen in Deutschland heute gänzlich in der Versenkung verschwunden sind. Politisch und wirtschaftstheoretisch gewonnen hat der anglo-amerikanische Liberalismus. Dessen Durchsetzung in der realen Wirtschaftspolitik, zulasten der Sozialen Marktwirtschaft, wurde mit Einführung des US-amerikanischen Kartellgesetzes am 1. Januar 1958 endgültig der Boden bereitet.
    Ludwig Erhard hatte am Erfolg der Nachkriegszeit große Verdienste, er hat Deutschland von Essensmarken und Zwangsbewirtschaftung der Besatzungszonen befreit und den deutschen Staat durch die Währungsreform intern von den Kriegsschulden entlastet. Er war derjenige, der das Wirtschaftswunder ermöglichte, weil er den Kräften freien Lauf gelassen hat, aber er erkannte nicht, dass diese Kräfte schon seit Jahrzehnten wohlorganisiert waren und sich – wohl auch aufgrund der Identität der Akteure in der Wirtschaft (Verbände, Wirtschaftsführer) – wieder selbst organisiert hatten.
    Das ganze Geschehen war selbstverständlich nicht zuletzt die Folge des Verlustes zweier Weltkriege, es war aber auch die Folge einer frühen Niederlage Schmollers gegen Carl Menger in einer geistigen Auseinandersetzung, dem sogenannten »Methodenstreit«, den er mit der Österreichischen Schule beziehungsweise deren Ideengeber Carl Menger zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausgefochten hatte. Schmoller unterlag schlicht Mengers Eloquenz. Hinzu kommt, dass das schlichte wirtschaftsliberale Denken zwischenzeitlich weiter mathematisiert wurde, das heißt, die Ideen des Klassikers Adam Smith wurden verstärkt durch die sich daraus entwickelnde durchmathematisierte Modellwelt der Neoklassik. Die ihr innewohnende Stärke ist die strenge Logik der Mathematik. Heute haben diese Lehren, der Liberalismus, die Neoklassik und der Ordoliberalismus die deutsche Volkswirtschaftslehre fest in ihrer Hand. Allenfalls Josef Schumpeter spielt als Alternative noch eine marginale Rolle. Und
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