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Obduktion

Obduktion

Titel: Obduktion
Autoren: Robin Cook
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allen Genlaboren und der Serologie waren auch andere Abteilungen wie das Archiv, die Verwaltung, die Rechts- und die Personalabteilung in das neue Hochhaus umgezogen und das hatte im alten Gebäude Platz geschaffen. Jeder Leichenbeschauer hatte jetzt sein eigenes Büro im dritten Stock. Zusätzlich zum eigenen Schreibtisch hatte Jack auch einen eigenen Laborarbeitsplatz, an dem er seine Mikroskope, seine Glasträger und den Papierkram zurücklassen konnte, ohne fürchten zu müssen, jemand anders könnte sie durcheinanderbringen.
    Entschlossen, seinen Ärger hinter sich zu lassen und sich nun auf seine Arbeit zu konzentrieren, betrat Jack das Gebäude. Plötzlich fühlte er sich, als hätte er eine Aufgabe zu erledigen. Er wartete nicht auf den hinteren Fahrstuhl, sondern nahm die Treppe. Zügig ging er am neuen Büro für plötzlichen Kindstod vorbei und durchquerte
den Raum des alten medizinischen Archivs, in dem inzwischen in einem Gewirr aus Stellwänden und Schreibtischen die neuen Fahnder untergebracht waren. Die Friedhofsschicht der gerichtsmedizinischen Fahnder war damit beschäftigt, die Berichte für den Schichtwechsel um sieben Uhr dreißig fertigzustellen. Jack winkte kurz zu Janice Jaeger hinüber, einer Fahnderin aus der Nachtschicht, die er kannte, seit er bei der Gerichtsmedizin angefangen hatte, und mit der er oft zusammenarbeitete.
    Er warf sein Jackett über einen abgenutzten Lederstuhl, als er in dem Büro ankam, wo alle Gerichtsmediziner ihre Schicht begannen. Auf einem frei stehenden Schreibtisch waren die Akten zu allen Fällen der vorangegangenen Nacht gestapelt, die nach Auffassung der gerichtsmedizinischen Fahnder in die Zuständigkeit der New Yorker Gerichtsmedizin fielen. Dazu zählten alle ungewöhnlichen oder ungeklärten Todesursachen wie Suizide, Verkehrsunfälle, kriminelle Gewalt oder einfach nur plötzliche Todesfälle, wenn der Verstorbene vorher noch in guter Verfassung gewesen zu sein schien.
    Jack setzte sich an den Tisch und begann die Fälle durchzugehen. Er nahm sich lieber die schwierigeren Fälle vor, weil sie ihm die Chance gaben, etwas dazuzulernen. Das war für ihn das Spannendste an der Gerichtsmedizin. Die anderen Gerichtsmediziner akzeptierten sein Verhalten, weil Jack die meisten Fälle von allen abarbeitete.
    Zum normalen morgendlichen Ablauf gehörte es, dass einer der Pathologen früher kommen musste, so gegen sieben Uhr oder noch etwas eher, um alle Fälle durchzugehen, festzulegen, welche weiterer Untersuchung bedurften, und sie gleichmäßig auf die Kollegen zu verteilen. Auch Jack hatte diesen Job ein Dutzend Mal
im Jahr, aber das störte ihn nicht, denn er war sowieso immer früh da.
    Schon nach ein paar Minuten fand er einen Fall, der nach Meningitis aussah. Das Opfer war ein Schuljunge aus einer Privatschule an der Upper East Side. Weil Jack nach ein paar diagnostischen Glückstreffern als Guru für Infektionskrankheiten galt, las er sich die Akte aufmerksam durch und legte sie zur Seite. Er dachte, dieser Fall könnte das Richtige für ihn sein, weil die Kollegen Fällen mit Infektionen lieber aus dem Weg gingen. Ihm war es eigentlich egal.
    Auch der nächste Fall ließ ihn bei seiner Durchsicht der Fälle stocken. Wieder war es eine relativ junge Person, diesmal allerdings weiblich. Die Tote war eine siebenundzwanzigjährige Frau, die im Zustand rasant fortschreitender geistiger Verwirrung in die Notaufnahme eingeliefert worden war. Hinzu kam ein spastischer Gang. Schließlich fiel sie ins Koma und starb. Zuvor hatte sie weder Fieber gehabt noch sonst irgendwelche Zeichen von Unwohlsein gezeigt. Aussagen ihrer Freunde zufolge war sie eine begeisterte Gesundheitsfanatikerin, die weder Drogen noch Alkohol konsumierte. Obwohl ihre Freunde gerade Cocktails tranken, als sie zusammenbrach, behaupteten sie, dass die Frau nur Softdrinks zu sich genommen hätte.
    »Oh Mist!«, schrie plötzlich jemand – so laut, dass Jack zusammenfuhr.
    In der offenen Tür des Büros stand Vinnie Amendola, einer der Pathologieassistenten, mit einer Zeitung unter dem Arm. Er hielt noch immer die Türklinke in der Hand, so als wolle er es sich noch anders überlegen und die Flucht ergreifen. Es war klar, dass es Jacks Anwesenheit war, die ihn so überrumpelt hatte.
    »Was ist los?«, erkundigte sich Jack. Vielleicht gab es einen Notfall.

    Vinnie antwortete nicht. Einen Augenblick lang starrte er Jack an, dann schloss er die Tür hinter sich. Mit verschränkten Armen baute er sich
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