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Nur Der Tod Bringt Vergebung

Nur Der Tod Bringt Vergebung

Titel: Nur Der Tod Bringt Vergebung
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die Gedichte Sapphos zu lesen, als die Evangelien zu studieren. Da ich selbst auch die griechische Sprache beherrsche, hätte ich die Bedeutung dieser Worte sofort verstehen müssen.»
    «Ich kann kein Griechisch», unterbrach sie Oswiu. «Wer ist Sappho?»
    «Eine große Dichterin, die auf der Insel Lesbos lebte. Sie scharte einen Kreis von Frauen und Mädchen um sich und schrieb Gedichte, die von ihrer leidenschaftlichen Liebe für die Mitglieder dieses Kreises erzählen. Der Dichter Anakreon sagt, es ginge auf Sappho zurück, daß der Name der Insel Lesbos mit der gleichgeschlechtlichen Liebe der Frauen verbunden wird.»
    Äbtissin Hilda rang verzweifelt die Hände.
    «Wollt Ihr uns sagen, daß Schwester Gwid eine … unnatürliche Leidenschaft für Étain empfand?»
    «Ja. Und diese Leidenschaft beherrschte sie vollkommen. Sie offenbarte Étain ihre Liebe, indem sie ihr Kopien zweier Gedichte Sapphos schenkte. Eines davon gab Étain Athelnoth, vermutlich um ihm zu erklären, was vor sich ging. Jedenfalls hat er das uns gegenüber angedeutet. Das andere Gedicht behielt sie selbst. Am Tag der Eröffnung der Synode muß es dann zu einer Aussprache gekommen sein. Étain sagte Gwid, daß sie ihre Liebe nicht erwidern könne, und wahrscheinlich erklärte sie ihr auch, daß sie Athelnoth liebe und nach der Synode mit ihm in einem Doppelhaus zusammenleben wolle.»
    «Gwid verlor darüber den Verstand», warf Eadulf ein. «Ihr habt ja vorhin selbst gesehen, wie rasch sie in Wut gerät. Und sie ist den meisten von uns an Körperkraft überlegen. Sie stürzte sich auf die zierliche Étain und schnitt ihr die Kehle durch. Dann nahm sie Étains Verlobungsgeschenk, die sächsische Brosche, an sich und suchte nach den beiden Gedichten, die sie Étain geschenkt hatte. Weil sich das andere bereits in Athelnoths Besitz befand, konnte sie jedoch nur eines entdecken.»
    «Ich erinnere mich noch gut daran, daß sie am ersten Tag der Debatte verspätet ins sacrarium kam», sagte Fidelma. «Sie war offenbar schnell gelaufen, ihr Gesicht war gerötet, und sie keuchte atemlos. Sie war direkt vom Mord an Étain ins sacrarium gekommen.»
    «Solange Étain im Zölibat lebte, konnte Gwid sich damit abfinden, ihre ergebene Sklavin zu sein», erklärte Eadulf. «Ihr nahe sein zu dürfen, war ihr vermutlich genug. Aber als Étain ihr offenbarte, daß sie Athelnoth liebte …» Er zuckte vielsagend die Achseln.
    «Nichts ist vernichtender als der Haß, der aus verschmähter Liebe entsteht», bemerkte Fidelma. «Gwid ist eine starke junge Frau, aber sie ist auch klug und gerissen. Jedenfalls versuchte sie, den Verdacht auf Athelnoth zu lenken. Bald wurde ihr klar, daß Étain ihm das zweite Gedicht gegeben hat. Wieder wurde sie von Zorn überwältigt. Daß Étain ihre Liebe verraten und sie vor diesem Mann lächerlich machen konnte! Ja, sie sagte mir sogar, der Mord sei eine Art Absolution für Étains Sünden. Natürlich drückte sie das nicht so direkt aus, aber ich hätte es trotzdem richtig deuten müssen.»
    Oswiu sah sie fragend an.
    «Gwid sah sich gezwungen, Athelnoth zu töten?»
    Fidelma nickte.
    «Sie war stark genug, ihn erst bewußtlos zu schlagen und ihn dann an einem Pflock in seinem cubiculum aufzuknüpfen, so daß er erstickte und es auf den ersten Blick wie ein Selbstmord wirkte.»
    «Womit sie jedoch nicht gerechnet hatte», ergänzte Eadulf, «war, daß Schwester Athelswith sie hörte und zur Tür kam. Gwid hatte gerade noch genug Zeit, sich unter dem Bett zu verstecken, als die domina Athelnoths cubiculum betrat. Athelswith erblickte den Toten und lief davon, um Alarm zu schlagen. Gwid konnte fliehen, hatte aber keine Zeit mehr, nach dem Pergament mit dem zweiten Gedicht zu suchen.»
    «Aber wie ist Seaxwulf an die sächsische Brosche mit dem anderen Gedicht gekommen?» fragte Wighard. «Ihr sagtet doch, Gwid habe beides nach dem Mord an Étain an sich genommen.»
    Schwester Athelswith kehrte zurück, nickte Fidelma zu und bedeutete ihr fortzufahren.
    «Bruder Seaxwulf hatte eine große Schwäche. Wie die Elstern liebte er hübsche, glitzernde Dinge. Er war bereits dabei erwischt worden, wie er die persönlichen Habseligkeiten der Brüder im dormitorium der Männer durchwühlte. Obgleich Wilfrid ihn mit Rutenschlägen bestraft hatte, muß Seaxwulf später auch noch das dormitorium der Frauen durchsucht haben. Jedenfalls stieß er dabei auf Étains Brosche. Sie war in ein Pergament mit griechischen Gedichtzeilen eingewickelt,
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