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Novemberrot

Novemberrot

Titel: Novemberrot
Autoren: Markus Theisen
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fast noch dankbar sein, dass Maria und Rosi nicht zu hungern brauchten .
    » Ich gehe sofort zum Kreismüller!«, sagte er trotzig zum Alten .
    » Hier hast du etwas zu essen und trinken.« Er drückte dem Nachbarn das Päckchen in die Hand, welches er von den Amerikanern erhalten hatte und wollte gerade aufbrechen, als Elzer ihn am Arm fasste und mit warnender Stimme sagte: »Aber pass auf, du wirst da wahrscheinlich nicht willkommen sein. Einige Dinge haben sich in der Zwischenzeit verändert.«
    »Ist schon gut«, entgegnete Michael, »auch DAS werde ich schaffen.« Und mit einem kurzen Kopfnicken machte er sich auf den Weg. Elzer wollte Michael noch bitten, nicht zum Hof des Bauern zu gehen, doch der war bereits zum Tor hinaus enteilt. Und mit der Ungewissheit im Nacken, wie sein Erscheinen aufgenommen würde, rannte er in Richtung des Kreismüllergutes. Sein Weg führte ihn durch die Schmiedegasse, dann entlang der Kirche hin zum Ortsrand. Kurz nach der Dorfgrenze bog er in den Feldweg zum Kreismüllergut nach rechts ab. Der Hof befand sich gut einen halben Kilometer außerhalb von Mayberg umgeben von Feldern und Wiesen. Zu Kreismüllers Besitz gehörten neben riesigen Flächen wertvollen Ackerlands auch Unmengen an Schweinen, Hühnern, Milchvieh und eine eigene Pferdezucht. Da es anscheinend in den letzten Wochen häufig geregnet hatte, war der schlammige Feldweg zum Hof übersät von Pfützen. Doch Michael war dies alles egal und er stapfe geradewegs durch den Matsch hindurch .
    » Wenn sie sehen, dass ich noch lebe, kommen sie bestimmt wieder mit zurück!«, machte er sich verzweifelt Mut. Heinrich Kreismüller, ein paar Jahre älter als Bergheim, war ihm schon von je her nicht sonderlich sympathisch, da dieser bereits als Kind immer recht großmäulig und prahlerisch daher kam .
    » Sogar in den Krieg musste er also nicht, der Drecksack!«, fluchte Michael laut vor sich hin, als er den äußeren Zaun des Hofes erreichte. Doch unmittelbar darauf kreisten seine Gedanken bereits wieder um Maria und seine kleine Tochter. Bevor er den aus dunkelgrauen Basaltsteinen errichteten Torbogen zum Innenhof des Gutes durchschritt, hielt der Heimkehrer kurz inne, atmete kräftig durch und ging zur massiven, aus Eichenholz gefertigten Haustür. Er zog zweimal am Seil, welches am Kopfende des Klöppels der schmiedeeisernen Türglocke befestigt war. Ihr klirrender Klang zerschnitt die vom Grunzen der Schweine erfüllte Luft. Sogleich preschte aus einer benachbarten Scheune bellend ein Schäferhund auf ihn zu. Michael, der sich blitzartig zum Hund umdrehte und schon mit seiner Rechten nach einem Knüppel oder Ahnlichem zu seiner Verteidigung tastete, bemerkte nicht, wie hinter ihm durch das im oberen Drittel der Tür angebrachte Fenster eine Frau schaute um zu sehen, wer für das Spektakel verantwortlich war. Und sie erblicke zunächst nur eine ärmlich gekleidete, verdreckte, hagere Gestalt, deren stoppeliger Kopf von einer Wehrmachtskappe bedeckt war. Alles spielte sich nun in Bruchteilen von Sekunden ab. Kurz bevor der Hofhund zähnefletschend zu einem Sprung ansetzen konnte, riss die Frau die Haustür auf und fuhr den Kläffer energisch an, sodass dieser sich sogleich winselnd mit eingeklemmtem Schwanz wieder in der Scheune verkroch, wo er eben hergekommen war .
    » Das war knapp!«, atmete Michael erleichtert auf und drehte sich um.
    Vor ihm stand Maria, seine Maria. Beide blickten sich an, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Maria in ihrem dunkelblauen, ihr bis zur Mitte der Waden reichenden Kleid, darüber eine warme, braune Wolljacke tragend, ihre dunkelblonden, schulterlangen Haare zu einem Dutt zusammengedreht und die Füße in grauen Filzlatschen vor der Kälte schützend, starrte Michael wie vom Schlag getroffen an. Noch war sie nicht in der Lage, auch nur einen Mucks von sich geben .
    » Endlich habe ich euch wieder!«, durchbrach Michael die Stille. In diesem Moment schoss Maria das Wasser in die Augen und Tränen liefen über ihre Wangen. Ihre Gesichtsfarbe glich urplötzlich der weißen Flurdecke. Der Heimkehrer, der seine Frau nun endlich nach all der Zeit der Ungewissheit und der Gefahren wieder festhalten und küssen wollte, strecke beide Arme nach ihr aus und machte einen Schritt nach vorne auf sie zu. Doch Maria wich verängstigt in den Hausflur zurück .
    » Bitte weiche nicht von mir zurück!«, flehte Michael seine Frau an .
    » Du weißt nicht, wie ich gelitten habe. Zerfressen von der Angst, euch nie
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