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Novemberrot

Novemberrot

Titel: Novemberrot
Autoren: Markus Theisen
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altes Radio. Eingewickelt in eine warme Decke lag er auf dem Sofa im Wohnzimmer seines Hauses und lauschte im faden Lichtschein der Senderbeleuchtung Stunden um Stunden englischsprachiger Musik eines amerikanischen Radio-Senders. Und seine Gedanken kreisten dabei unentwegt um seine Familie. Die Wochen verstrichen und Weihnachten stand vor der Tür. Michael, in der wagen Hoffnung, seine Familie nun endlich bei sich haben zu können, wartete am Morgen des dritten Advents in der Nähe der Dorfkneipe, versteckt hinter einem Gebüsch auf Heinrich Kreismüller. Denn dieser genehmigte sich nach jedem sonntäglichen Hochamt immer einige Biere zum Frühschoppen, bevor er den Heimweg antrat. Wie auch an diesem Morgen. Denn als der Bauer nun auf Höhe des Strauches war, zog Michael ihn in sein Versteck. Und Heinrich erschrak fürchterlich. Nachdem sich Kreismüller nun wieder gefasst und Michael seine Bitte flehend vorgetragen hatte, flüsterte Heinrich beschwichtigend, dass es noch zu früh sei und Bergheim den beiden noch mehr Zeit geben müsse. Er, Kreismüller, könnte ihn ja verstehen, aber schließlich hatte er ihm ja versprochen zu helfen .
    » Wenn der passende Augenblick gekommen ist, bin ich sofort bei dir«, heuchelte Heinrich. Dann befreite er sich energisch aus Michaels Griff und verschwand in der Wirtschaft. Michael blieb ratlos und verstört zurück. Aus dem Lokal drangen schallendes Gelächter und das Klirren von Gläsern wie blanker Hohn zu seinen Ohren. Er war kurz davor hineinzugehen, um sich Kreismüller vorzuknöpfen. Doch irgendetwas hielt ihn zurück und er ließ von seinem Vorhaben ab. Die Tage kamen und gingen. Michael schuftete wie ein Besessener für sein einziges Ziel. Ab und an wurde er durch seinen Nachbarn Elzer bei der Wiederherrichtung seines Hauses unterstützt. Elzer, der nun auch schon gut sechzig Lenze zählte, befand sich trotz seines Alters noch in guter körperlicher Verfassung, sodass sie mit dem Arbeiten zügig vorankamen. Und Michael hielt sich, wenn es ihm auch äußert schwer fiel, wie er es mit Kreismüller vereinbart hatte, von seiner Frau und seiner Tochter fern. Eines Samstagnachmittags im März 1947, als Michael nach getaner Arbeit am Segbach entlang nach Hause ging, sah er die beiden plötzlich. Maria hatte ihre Tochter bei der Hand genommen und sie spazierten die Bahnstraße entlang .
    » Das ist nun die Gelegenheit«, sagte er sich. Er wollte schon zu ihnen laufen, doch ihm letzten Augenblick besann er sich und sprang die gut einen Meter hohe Böschung hinab in den kalten Segbach. Maria schaute zwar sofort in seine Richtung, als sie das Platschen hörte, doch den Grund für dieses Geräusch konnte sie nicht erkennen .
    » Ach, könnte ich sie nur in meinen Armen halten!«, dachte sich Bergheim verzweifelt. Aus Tagen wurden Wochen, aus Wochen Monate und immer wieder suchte Michael das Gespräch mit Kreismüller. Doch dieser fand immer wieder neue Worte der Beschwichtigung. Auch Maria fragte Kreismüller öfters nach ihrem Mann. Ihr tischte er dann hinterlistig auf, dass man sich im Dorf erzählte, Michael sei ein Eigenbrödler und komischer Kauz geworden, den man nur bei Nacht und Nebel in den Feldern rund um Mayberg umherstreifen sieht. Bei hellem Tageslicht würde man ihn so gut wie nie antreffen. Heinrich wusste sehr wohl davon, wie Michael rackerte und im Schichtdienst arbeitete, aber dies und noch einige andere Dinge, die für Bergheim sprachen, erwähnte er Maria gegenüber nicht.
    Ende August im selben Jahr, das Getreide war bereits eingebracht und auf den Äckern lagen die Strohballen zum Abtransport bereit, war Michael an einem der wenigen arbeitsfreien Samstage, die er sich gönnte, in seinem Hof damit beschäftigt, die alte schwarze, gusseiserne Schwengelpumpe, welche auf einem schweren Basalttrog angebracht war, wieder auf Vordermann zu bringen. Durch sie beförderte man das Regenwasser, welches sich im Laufe des Jahres in der darunter liegenden Senke angesammelt hatte, zu Tage. In früheren Zeiten, als seine Familie noch etwas Landwirtschaft betrieb, diente der Trog als Trinkstelle für die beiden Ackergäule. Doch heutzutage bewässerte Michael damit nur noch seinen Nutzgarten hinterm Haus. Es war ein herrlicher Spätsommertag und die Luft erfüllt vom süßlichen Geruch frisch gebackenen Kuchens, der aus einem offen stehenden Fenster eines der benachbarten Häuser strömte. Die Glocke des Kirchturms schlug zwei Mal und Michael blickte prüfend auf seine silberne
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