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No & ich: Roman (German Edition)

No & ich: Roman (German Edition)

Titel: No & ich: Roman (German Edition)
Autoren: Delphine de Vigan
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legte es obenauf in die Sporttasche. In der Küche fand ich ein paar Päckchen Kekse, ich legte sie zusammen mit einer Rolle Küchenkrepp dazu, dann setzte ich mich vor ein Blatt Papier, ich nahm den Stift in die Hand und suchte nach passenden Worten, nach angemessenen Worten, macht euch keine Sorgen, alarmiert nicht die Polizei, ich habe mich für ein anderes Leben entschieden, ich muss bis ans Ende gehen, bis ans Ende der Dinge, bitte verzeiht mir, seid mir nicht böse, jetzt ist es so weit, Adieu, Eure Euch liebende Tochter, aber alles erschien mir lachhaft, lächerlich, die Worte waren nicht auf der Höhe des Augenblicks, seiner Bedeutung, die Worte konnten weder die Notwendigkeit ausdrücken noch die Angst. Ich klappte den Block wieder zu, ohne etwas geschrieben zu haben. Ich schlüpfte in meinen Winterparka und zog die Wohnungstür hinter mir ins Schloss. Auf dem Treppenabsatz zögerte ich noch eine Sekunde, mein Herz schlug so schnell, eine Sekunde wie eine Ewigkeit, aber es war zu spät, da stand meine Tasche, und ich hatte meinen Schlüssel in der Wohnung gelassen.

    Draußen ging ich schnell, ich überquerte die Straßen, ohne mich umzuschauen, die eiskalte Luft schnitt mir in die Kehle, ich rannte die Stufen hinauf und brauchte oben mehrere Minuten, um wieder zu Atem zu kommen. Lucas öffnete mir die Tür, er wirkte ähnlich panisch wie sie, er rannte hin und her, nahm hier etwas und da etwas in die Hand, lief wieder ins Schlafzimmer und dann wieder hinaus. No saß reglos auf dem Bett.
    Sie sah mich an, und es war wie eine Bitte, es war derselbe Blick wie der damals auf dem Bahnhof, an dem Tag, als sie mich gebeten hatte, mit ihr zu sprechen, noch ernster, noch angespannter, ein Blick, zu dem man nicht nein sagen kann. Ich suchte ihr etwas zum Anziehen, zog ihr die Kleider und die Schuhe an und kämmte ihr das Haar mit den Fingern. Ich sammelte die Sachen vom Boden auf und stopfte alles, was mir in die Hände geriet, in den Koffer, ich machte das Bett und öffnete das Fenster weit, um zu lüften.
    No stand endlich auf und holte den braunen Umschlag, den sie in einem Wandschrank versteckt hatte, ich half ihr in ihren Blouson, ich sagte Lucas, wahrscheinlich habe mein Vater seine Mutter angerufen, er müsse sich gut überlegen, was er sage. Dann standen wir alle drei im Wohnungsflur, Lucas sah meine Tasche neben der Tür, ich zog No am Ärmel, wir durften keine Zeit verlieren. Die Frage stand im Raum, sie schwebte unausgesprochen zwischen uns, was machst du, Krümel, wohin gehst du, ich hielt seinem Blick stand, er wirkte hilflos. Ohne mich noch einmal umzusehen, drückte ich auf den Knopf vom Aufzug.

    Dann waren wir auf der Straße, No und ich, es war eisig, in einer Hand hielt ich den Koffer, in der anderen die Tasche, ringsum war niemand zu sehen.
    Ich werde nie mehr nach Hause zurückkehren, dachte ich, ich bin draußen, mit No, für den Rest meines Lebens. So können die Dinge kippen, dachte ich, genauso, ohne Vorwarnung, ohne Schild, so können die Dinge aufhören und nie wiederkommen. Ich bin draußen, mit No.
    In einem nahe gelegenen Café machten wir halt, No hatte Geld. Sie wollte, dass ich ein Croissant nahm, Brot mit Butter und Marmelade und einen großen Kakao, sie bestand darauf, sie wollte, dass wir ein Super-Mega-Spitzenfrühstück hätten, sie wühlte in ihrem Umschlag und zog einen Zwanzig-Euro-Schein heraus. Wir verschlangen alles bis auf den letzten Krümel, es war warm, es ging uns gut. Mir schien, dass sich ihr Körper langsam beruhigte, sie zitterte weniger, sie bestellte noch einen Kakao, sie lächelte. Wir sind mindestens zwei Stunden dageblieben, wegen der Wärme, es erinnerte mich an die ersten Male, als ich mein Referat vorbereitete. Als alles möglich schien. Ich hatte keine besondere Lust, traurig zu sein, also erzählte ich ihr einen Sketch über Flugangst von Gad Elmaleh, dessen Comedy-Sendung ich ein paar Tage zuvor im Fernsehen gesehen hatte. Sie lachte. Danach redeten wir nicht mehr viel, wir sahen uns nur unsere Umgebung an, die Leute, ihr Kommen und Gehen, wir hörten den Gesprächen zu, die am Tresen geführt wurden, ich bin sicher, sie wäre eingeschlafen, wenn sie die Augen geschlossen hätte.
    Sie war es, die ins Kino wollte, bitte, sagte sie, einmal noch, mir war es nicht recht, dass sie all das Geld ausgab, doch sie sagte wieder bitte, es ist so lange her, dass ich zuletzt im Kino war. Wir nahmen die Metro bis zum Forum des Halles, sie trug die Tasche und ich den
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