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Titel: nmp06
Autoren: Unknown
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Namen verliehen haben. Hemingway und Sartre haben dort gesessen und geschrieben, bis ihnen der Trubel allzu lärmend wurde.
    Man mag von dort die geschäftige Rue de Rennes hinaufgehen, „diese seltsame Gerade“, wie Burma empfindet, „die auch bei strahlendem Sonnenschein und 35 Grad im Schatten traurig und kalt aussieht.“ Hier irrt Nestor. Die langgestreckte Rue de Rennes, die geradewegs auf den mächtigen Turm Montparnasse zuläuft, ist eine der lebendigsten Verkehrs- und Geschäftsadern überhaupt in der Stadt. Vielleicht hat Burma sie nicht gemocht, weil tatsächlich bei aller Geschäftigkeit relativ wenige Bistros am Wegesrand liegen.

    Auf der Höhe der Rue Blaise-Desgoffe, also da, wo „das Felix-Potin-Haus mit seinem flaschenförmigen Glockenturm“ steht, kann ich mir mit einem flüchtigen Blick nach rechts die Wohnung der besorgten Tante Taxis denken, die ihre „kleine schamlose Nichte“ wieder zu Hause wissen wollte. Das Fin-de-siècle-Haus des Einzelhandels-Konzerns Felix Potin spiegelt sich in der gläsernen Fassade vom Buch- und Schallplatten-Zentrum der FNAC. Geschäfte, Geschäfte. Bisness, wie man im neufranzösischen sagt. Auch Nestor ging dort schon seinen zwielichten Geschäften nach. So wie, wenige hundert Meter weiter, am Boulevard Raspail, wo der Versicherungsagent Jérôme Grandier sein Zuhause hatte, („in der Nähe des Hôtel Lutétia, im obersten Stockwerk eines prachtvollen Hauses.“)

    Am Boulevard Raspail, wo Picasso und James Joyce, Simone de Beauvoir und Sartre (wenn auch im zehnten Stock) wohnten, da wandelt sich das intellektuelle sechste Arrondissement bereits und nimmt den Charakter des Siebten an, wo es meist vornehm und diskret zugeht. Das siebte, in dem die diskrete Diplomatie und die vielen Ministerien ihre Heimstatt gefunden haben, war Léo Malet offenbar derart zuwider, daß er es bei der Abfolge seiner ,neuen Geheimnisse von Paris’ mit Mißachtung gestraft und gar nicht erst beschrieben hat.
    Also wende ich mich zurück ohne Zorn und streife auf dem Weg zum Jardin du Luxembourg, dem neben dem Monceau-Park wohl elegantesten Garten der Hauptstadt, die Rue des Quatre Vents, die Straße der vier Winde. Eine abermals von den Stadtsanierern bislang mißachtete Straße, in der sich der unglückliche Portier Lebailly zurückgezogen hatte. („In dem schmalen Eingang eines alten abbruchreifen Hauses. Wenn man dem Schild über dem Eingang glauben konnte, befand sich im Hof eine Kunsttischlerei“.) Man konnte und man mag es glauben. Und dann fällt es nicht schwer, am Rand des Jardin du Luxembourg in einem der gediegenen Häuser die Wohnung des Germain St. Germain auszumachen. Genau da oder gleich nebenan mag er gewohnt haben. Die Witwe des bereits zitierten Heinrichs IV., Maria von Medici, hatte Anfang des 17. Jahrhunderts Schloß und Garten erworben. Als sie allzu heftig gegen den mächtigen Kardinal Richelieu intrigierte, wurde sie außer Landes gejagt und verbrachte die letzten Jahre ihres Lebens im Exil in Köln. Verarmt und vergessen. Die Vollendung des Palais du Luxembourg, dem sie den Charakter ihrer toskanischen Heimat hatte verleihen wollen, hat sie nicht mehr erlebt. Sehr viel später nach ihrem Tod erst kam ein anderer städtebaulicher Einfall voll zur Geltung. Aus einer langen und breiten Waldschneise, die sie am Stadtrand hatte schlagen lassen, wurde die Prachtallee der Champs-Elysées.

    Der Louxemburg-Garten war immer wieder ein bevorzugter Treffpunkt vieler Schriftsteller. Das lag nicht zuletzt wohl auch an der nahegelegenen Closerie des Lilas, in dem so mancher Bourbon oder Pastis Wegbegleiter geflügelter Worte war.
    Sicher auch für Nestor Burma, der — nur ein paar Schritte entfernt — den Abgesang auf seinen Streifzug durch das sechste Arrondissement anstimmte: „Ich hatte die Schnauze voll von Saint-Germain-des-Prés und seinen Kellnern und Kellern, die manchmal so tief wie Gräber waren, auf denen die Tannen für die Särge wachsen.“

    Peter Stephan, im November 1986.

Anmerkungen

    1. Kapitel:
    Rue de l’Échaudé : échaudé = kochend heiß, verbrüht, verbrannt.
    Zweihundert Millionen auf ihrem Bankkonto : Es handelt sich bei allen Geldbeträgen, von denen im Laufe des Romans die Rede ist, um Alte Francs.
    Tintin guckt in die Röhre : Wortspiel im Französischen: faire tintin = in die Röhre gucken.
    Asnières : Stadt im Departement Hauts-de-Seine.

    2. Kapitel:
    ...eine Kugel aus blanker Waffe : Im Französischen heißt „blanke Waffe“
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