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Nilowsky

Nilowsky

Titel: Nilowsky
Autoren: Torsten Schulz
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an.
    »Danke«, sagte ich.
    »Also ick brauch erstmal ’n Eierlikörchen«, stellte Wally fest, und Nilowsky sagte: »Ich trink keinen Alkohol, nie im Leben werde ich Alkohol trinken, außer mal nach dem Essen, aber das muss schon ein Festmahl sein, das muss es schon sein, damit ich ausnahmsweise mal, einen guten Weinbrand zum Beispiel.«
    »Hast ja recht«, bemerkte Wally einsichtig. »Nich dass ick noch so ’ne Suffdrossel werde wie dein Vater, nee, so ’ne Suffdrossel, die will ick ja nich werden, bloß nich, bloß dit nich.«
    Nilowsky lächelte zufrieden.
    »Dit is er nämlich, der Hauptgrund«, fuhr Wally fort. »Dass ick nämlich Angst hab vor dein’ Vater. Der lauert mir uff, wenn ick zu die Afrikaner geh, und deshalb geh ick nich mehr da hin. Der bringt mir noch um, wenn dit so weitergeht. Aber wat soll ick denn machen? Wenn ickzur Polizei geh, sagen die nur, ick soll nich so viel mit die Neger. Wenn ick nich so viel mit die Neger, wird er sich ooch wieder beruhigen, dein Vater, sagen die.«
    »Brauchst nicht zur Polizei«, erwiderte Nilowsky. »Da hast du nichts verloren.«
    Wieder Wallys verblüffter Blick, der diesmal auch zu mir ging. Als wäre ich möglicherweise der Grund dafür, dass sie es überhaupt nicht nötig hätte, zur Polizei zu gehen.
    »Warum könntest du, warum könntest du niemals mit ihm?«, fragte Nilowsky. Es klang wie in einem Verhör, und Wally prompt: »Na, hör mal! Dit kannste dir wohl selber denken.«
    »Vielleicht hab ich es vergessen«, antwortete Nilowsky.
    Wally schüttelte verwundert den Kopf. Dann sagte sie in einem Hochdeutsch, das ich ihr nicht zugetraut hätte: »Du machst mir Spaß. Er hat … Deine Mutter hat er auf dem Gewissen. Wie er sie behandelt hat, der furchtbare Kerl. Deine arme Mutter …«
    »Das reicht!«, unterbrach Nilowsky. Und Wally: »Hastet wohl doch nich vergessen.«
    »Ich wollte es noch einmal hören. Deshalb!« Seine Stimme war hart, dennoch meinte ich ein Zittern in ihr wahrgenommen zu haben. »Außerdem, wir müssen weiter, müssen wir.«
    »Jetzt wollt’ ick mir«, sagte Wally, »vor lauter Ärger aber trotzdem noch schnell ’n Eierlikörchen jenehmigen, da haut ihr uff eenmal ab.«
    Nilowsky ging zur Wohnungstür, ich folgte ihm.
    »Entschuldige bitte, Reiner, ick wollt dir nich zu nahe treten, aber du hast mir jefragt …«
    »Ist gut!«, unterbrach Nilowsky sie erneut.
    Kaum dass wir das Haus verlassen hatten, eroberte er sich wieder diese Haltung von optimistischem Trotz und sagte: »Das war Wally. Wie sie leibt und lebt. Und jetzt schauen wir mal bei Elli vorbei. Du solltest auch Elli kennenlernen. Hast ja gehört: umso oller, umso doller. Da werden wir jetzt hingehen.«
    Elli wohnte ebenfalls in einer Erdgeschosswohnung, ein paar Straßen weiter, auf dem dritten Hinterhof. Sie war eine dralle Frau, mit Kugelbauch und Kugelkopf und blondierten Haaren. »Wat denn, schickt dir Wally?« Das waren, statt einer Begrüßung, ihre ersten Worte, und Nilowsky erwiderte: »Nein, das war schon meine eigene Idee, war das. Das ist mein Freund, Markus Bäcker.«
    Es war das erste Mal, dass er in meinem Beisein meinen Namen sagte. Es klang feierlich und zugleich vertraut. Elli musterte mich kurz, und mit einem knappen Kopfnicken gab sie zu verstehen, dass sie gegen mich nichts einzuwenden hatte. Wir folgten ihr in die Küche. Der Geruch von verschiedenen Gewürzen, der uns schon im Hausflur empfangen hatte, drang nun mit einer Stärke auf uns ein, dass ich nur noch sehr vorsichtig zu atmen wagte, aber mit jedem Atemzug meinte, etwas Neues zu riechen, das mich belebte, ja meine Sinne anstachelte. »Ick hab vorhin jekocht«, sagte Elli stolz. »Und wenn ick koche, sind alle meine Jewürze dabei.«
    Auf einem Regal über dem Kochherd war eine ganze Reihe von Fläschchen, ordentlich nebeneinander aufgestellt, und auf diesen Fläschchen standen Namen, die ich noch nie gelesen hatte: Kardamom, Safran, Sesam, Chili, Piment, Muskat, Ingwer, Kurkuma, Koriander, Soumbala, Oregano. Das war etwas anderes als Salz undPfeffer, das war nicht weniger als die große weite Welt auf einem kleinen klapprigen Küchenregal.
    »Staunste, wa?«, sagte Elli zu mir. »Meinste etwa, die hab ick jekooft? Nee, jekooft hab ick die nich. Die hab ick jeklaut, im KaDeWe hab ick die jeklaut. Wat dit große Kaufhaus is, drüben, inne Nähe vom Bahnhof Zoo. Und weeßte, warum ick die jeklaut hab? Janz einfach: Weil ick den Klassenfeind schädigen wollte, wenne verstehst, wat ick meine.
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