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Niemand kennt mich so wie du

Niemand kennt mich so wie du

Titel: Niemand kennt mich so wie du
Autoren: Anna McPartlin
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ihrem Blickfeld. Ein oder zwei Minuten lang blieb Lily regungslos stehen, um sich zu sammeln.
    Zeit, ein neues Kapitel aufzuschlagen, Lily.
     
    Eve wartete, bis sie sich fit genug fühlte, um mit Lily auf die Klippe zu gehen, ehe sie ihr von dem Tumor erzählte. Sie stiegen zusammen den Hügel hinauf, bis hin zu ihrem alten Lieblingsplatz. Es war noch immer warm, und sie streckten sich unter dem ruhigen Spätseptemberhimmel im weichen Gras aus und redeten, so wie sie es als Teenager immer getan hatten: Lily, den Kopf auf den Ellbogen gestützt, und Eve auf dem Rücken, in die Sonne blinzelnd.
    Eve erzählte Lily, dass sie schon kurz nach ihrer Rückkehr nach New York gemerkt hatte, dass sie kognitiv beeinträchtigt war. Zahlen und andere kleine Details, die nie zuvor ein Problem waren, bereiteten ihr plötzlich Schwierigkeiten und entglitten ihrem Gedächtnis. Sie litt unter Kopfschmerzen und hatte Probleme beim räumlichen Sehen. Sie war nach Hause zurückgekehrt, weil sie erschöpft war, gelangweilt und sich ein anderes Leben wünschte, aber auch deshalb, weil sie tief in sich wusste, dass ihr die Zeit davonlief. Lily lag auf ihren Arm gestützt da, unbewegt und stumm, und versuchte, die Neuigkeiten zu verdauen, doch es war nicht einfach. Sie war zutiefst bestürzt.
    «Aber du hast einen Autounfall überlebt!», sagte sie.
    «Schon komisch, oder?»
    Lily schüttelte unwillig den Kopf, als ließe sich damit Eves Schicksal beeinflussen.
    «Gutartige Hirntumore kann man entfernen, sie führen in den seltensten Fällen zum Tod», sagte sie.
    «Dieser ist inoperabel.»
    «Wie lange noch?», fragte Lily. Sie hatte sich aufgesetzt und klang sauer, als würde Eve langsam sterben, nur um sie zu ärgern.
    Eve blieb liegen. «Er wächst nur langsam, die Symptome sind immer noch relativ harmlos. Er kann zum Stillstand kommen, schneller wachsen oder langsamer werden. Man weiß es nicht.»
    «Du könntest also für immer leben?», fragte Lily und kämpfte mit den Tränen.
    «Klar. Für immer und ewig.»
    Sie spazierten langsam zurück, Hand in Hand, bis es Eve zu schwitzig wurde. Sie ließ Lily los und wischte sich die Hand an der Jacke ab. Über dem Hafen färbte sich der rosarote Himmel langsam tiefrot.
    «Können wir jetzt endlich darüber sprechen, was passiert ist?», fragte Lily völlig unvermittelt, doch Eve wusste genau, was sie meinte.
    «Okay», sagte sie.
    «Declan hat dich vergewaltigt.»
    «Ja.»
    «Ich habe deinen Brief sicher hundertmal gelesen, aber so habe ich die Situation nie gedeutet. Ich dachte immer, du wärst eifersüchtig und gemein und wolltest mir weh tun, weil ich mit Clooney zu weit gegangen war.»
    «Hast du mir deswegen nie geantwortet?», wollte Eve wissen.
    «Ich habe dir jede Menge Briefe geschrieben. Die meisten waren grauenhaft, und sie sind alle im Müll gelandet. Declan hat einfach unglaublich schnell reagiert, Eve. Er stand am nächsten Tag vor meiner Tür und sagte, er wüsste alles über Clooney und mich und dass er mit dir geschlafen hätte. Er flehte mich an, ihm zu verzeihen, und bat um einen Neubeginn.»
    «Ich verstehe.»
    «Ich nicht», sagte Lily. «Ich war so dumm!»
    «Wir waren beide sehr, sehr dumm», sagte Eve und lächelte.
    «Ich habe deine Briefe alle aufgehoben.»
    «Ich deine auch», antwortete Eve. «Lass uns einen Pakt schließen. Wir geloben, sie nie wieder zu lesen. Ich habe versucht, die Zeit zurückzudrehen. Es hat ganz offensichtlich nicht funktioniert. Lass uns lieber in der Gegenwart leben.»
    Lily nickte. «Erst als wir geheiratet haben, ist mir langsam klargeworden, was wirklich passiert ist. Ich will, dass du das weißt. Ich hätte mich bei dir melden sollen, aber ich war mit ihm verheiratet.»
    «Du musst mir nichts erklären, Lily. Ich hab dich lieb!» Sie zuckte die Achseln. Eine Weile gingen sie schweigend weiter.
    «Ein Hirntumor?», sagte Lily plötzlich. «Wirklich? Ein belämmerter Hirntumor?» , schrie sie in den roten Abendhimmel hinauf. «Da musst du dir schon was Besseres einfallen lassen! Hörst du?»
    Eve lachte. «Ja, genau! Leckt mich doch, Himmel, Universum, all ihr Götter, Aliens, Leere! Ihr könnt mich alle mal!», rief sie und schüttelte die Faust.
    Lily drehte sich zu ihrer Freundin um. Tränen liefen ihr über das Gesicht.
    «Du kannst mich mal, Eve Hayes!», sagte sie.
    «Du mich auch, Lily Brennan!», antwortete Eve.
    Sie nahm ihre beste Freundin in den Arm und küsste sie so auf den Scheitel, wie ihr Bruder es immer getan hatte.
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