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Niemalsland

Titel: Niemalsland
Autoren: Neil Gaiman
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Mister Croup?« fragte sein Begleiter. Er aß etwas, das aussah, als wäre es mal ein junger Hund gewesen. Mit seinem Messer schnitt er große Fleischfetzen von den Knochen und steckte sie sich in den Mund.
    »Weil, wie Sie so klug erkannt haben, erlauchter Freund, sie dann tot sind.«
    Und so kann man die beiden Sprecher unterscheiden: Erstens ist Mr. Vandemar, wenn beide stehen, zweieinhalb Köpfe größer als Mr. Croup.
    Zweitens sind Mr. Croups Augen von einem verblichenen Chinablau, während Mr. Vandemars Augen braun sind.
    Drittens trägt Mr. Vandemar an seiner rechten Hand Ringe, die er aus den Schädeln von vier großen Raben gefertigt hat, Mr. Croup hingegen trägt keinen sichtbaren Schmuck.
    Viertens mag Mr. Croup Wörter, während Mr. Vandemar immer hungrig ist.
    Das Kloster ging mit einem lauten Fauchen in Flammen auf: Es konflagrierte.
    »Lauch mag ich nicht«, sagte Mr. Vandemar. »Schmeckt fade.«
    Jemand schrie, dann rumpelte es laut, als das Dach einstürzte, und donnernd schlugen die Flammen in die Höhe.
    »Da war jemand nicht tot«, sagte Mr. Croup.
    »Ist es aber jetzt«, sagte Mr. Vandemar, und er aß noch ein Stück rohen Hund. Er hatte sein Mittagessen auf dem Weg vom Kloster tot in einem Graben gefunden. Das sechzehnte Jahrhundert gefiel ihm.
    »Was jetzt?« fragte er.
    Grinsend entblößte Mr. Croup Zähne, die wie ein Unfall auf einem Friedhof aussahen. »Heute in etwa vierhundert Jahren«, sagte er. »In Unter-London.«
    Mr. Vandemar verdaute dies zusammen mit ein wenig Hund. Schließlich fragte er: »Leute umbringen?«
    »Oh ja«, sagte Mr. Croup. »Darauf können Sie Gift nehmen. «

Kapitel Eins
     
    Sie war jetzt vier Tage lang gerannt, planlos durch Gänge und Tunnel geflohen. Sie war hungrig und erschöpft, und die Türen ließen sich immer schwerer öffnen.
    Sie fand ein Versteck, eine winzige steinerne Höhle unter der Welt, in der sie in Sicherheit war, zumindest betete sie darum, und endlich schlief sie.
    Mr. Croup hatte Ross auf dem letzten Wandermarkt engagiert, der in der Westminster Abbey abgehalten wurde. »Betrachten Sie ihn«, sagte er zu Mr. Vandemar, »als Kanarienvogel. «
    »Singt er?« fragte Mr. Vandemar. »Da habe ich meine Zweifel, da habe ich allergrößte Zweifel. Nein, mein feiner Freund, das war metaphorisch gemeint: Ich dachte eher an die Vögel, die man mit ins Bergwerk nimmt, um das Gas zu bemerken.«
    Vandemar nickte.
    Abgesehen davon hatte Mr. Ross keine Ähnlichkeit mit einem Kanarienvogel: Er war riesengroß – fast so groß wie Mr. Vandemar – und schmutzig, und er sagte sehr wenig, hatte ihnen jedoch ausdrücklich erklärt, daß er gern töte und diese seine Sache gut mache; und darüber amüsierten sich Mr. Croup und Mr. Vandemar, wie etwa Dschingis-Khan sich über das Geprahle eines jungen Mongolen amüsiert haben mag, der gerade sein erstes Dorf geplündert oder seine erste Jurte in Brand gesteckt hatte. Er war ein Kanarienvogel, ohne es zu wissen. Mr. Ross ging also voran, in seinem dreckigen T-Shirt und seinen verkrusteten Jeans, und Croup und Vandemar folgten ihm in ihren eleganten schwarzen Anzügen.
    Es raschelte in der Dunkelheit des Tunnels; Mr. Vandemars Messer war in seiner Hand, und dann war es nicht mehr in seiner Hand, sondern zitterte leise in fast zehn Meter Entfernung.
    Er ging hinüber und hob es auf. Die Klinge hatte eine Ratte durchbohrt. Ihr Maul öffnete und schloß sich hilflos, während sie ihr Leben aushauchte. Er zerquetschte ihren Schädel zwischen Daumen und Finger.
    »Na, wenigstens eine Ratte, die nicht mehr Mäuschen spielen wird«, sagte Mr. Croup. Er lachte leise über seinen eigenen Witz.
    Mr. Vandemar sagte nichts.
    »Ratte. Mäuschen. Kapiert?«
    Mr. Vandemar zog die Ratte von der Klinge und begann nachdenklich daran zu kauen.
    Mr. Croup schlug sie ihm aus den Händen. »Lassen Sie das«, sagte er. Mr. Vandemar steckte etwas verdrossen sein Messer weg.
    »Kopf hoch!« zischte Mr. Croup ermutigend. »Das wird nicht die letzte Ratte gewesen sein. Und jetzt weiter! Wir haben zu tun. Leuten zu schaden.«
    Drei Jahre in London hatten zwar Richard nicht verändert, aber den Eindruck, den er von der Stadt hatte.
    Gleich nach seiner Ankunft war London ihm riesig erschienen, seltsam, zutiefst unbegreiflich. Allein der U-Bahn-Plan verlieh der Stadt einen Anschein von Ordnung.
    Nach und nach war ihm klargeworden, daß der U-Bahn-Plan eine praktische Fiktion war, die einem zwar das Leben erleichterte, jedoch keinerlei
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