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Niemalsland

Titel: Niemalsland
Autoren: Neil Gaiman
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Welt.
    Als Richard sich ihr näherte, sprang sie auf den Gehweg, wartete im Schatten der Mülltonne und starrte ihn aus schwarzen Augen an. Richard hockte sich hin.
    »Hallo«, sagte er sanft. »Kennen wir uns?«
    Die Ratte sagte nichts, aber sie lief auch nicht weg.
    »Ich heiße Richard«, fuhr er mit leiser Stimme fort. »Ich bin kein richtiger Rattensprecher, aber ich, ähm, kenne ein paar Ratten, und ich wüßte gern, ob du eine Bekannte von Lady Door bist …«
    Er hörte hinter sich einen Schuh scharren, und als er sich umdrehte, bemerkte er die Buchanans, die ihn neugierig anschauten.
    »Haben Sie … etwas verloren?« fragte Mrs. Buchanan.
    Richard hörte das barsche Flüstern ihres Mannes: »Nur ein paar Tassen aus dem Schrank«, doch er beachtete es nicht.
    »Nein«, sagte Richard ehrlich. »Ich habe … jemandem Guten Tag gesagt, einer …«
    Die Ratte huschte davon.
    »War das eine Ratte?« bellte George Buchanan. »Ich werde mich bei der Behörde beschweren. Es ist eine Schande. Das ist wieder typisch London, was?«
    Ja, pflichtete Richard ihm bei. Typisch.
    Seine Sachen standen weiterhin unausgepackt in Teekisten mitten in seinem Wohnzimmer.
    Er schaltete den Fernseher nicht ein. Er kam abends nach Haus und aß etwas. Dann stand er am Fenster und schaute hinaus auf London, auf die Autos und die Dächer und die Lampen, während die Dämmerung zur Nacht wurde und in der ganzen Stadt die Lichter angingen. Und schließlich zog er sich widerstrebend aus, stieg ins Bett und schlief ein.
    Eines Freitagnachmittags kam Sylvia in sein Büro.
    Er öffnete gerade Briefe, wobei er sein Messer – Hunters Messer – als Brieföffner benutzte.
    »Richard?« sagte sie. »Ich wollte mal was fragen. Kommen Sie derzeit viel unter Menschen?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Nun ja, ein paar von uns gehen heute abend aus. Haben Sie Lust mitzukommen?«
    »Ähm. Klar«, sagte er. »Ja. Liebend gern.«
    Er haßte es.
    Sie waren zu acht: Sylvia und ihr junger Mann, der etwas mit Oldtimern zu tun hatte, Garry aus der Buchhaltung, der sich kürzlich aufgrund eines Mißverständnisses von seiner Freundin getrennt hatte (er hatte geglaubt, sie würde verständnisvoller darauf reagieren, daß er mit ihrer besten Freundin schlief, als sie es tatsächlich tat, kaum daß sie es herausgefunden hatte), diverse nette Leute und Freunde von netten Leuten und das neue Mädchen aus der Computer-Service-Abteilung.
    Erst sahen sie sich im Odeon am Leicester Square einen Film an. Der Gute siegte am Ende, und bis dahin gab es jede Menge Explosionen und umherfliegende Gegenstände.
    Sie aßen im La Reache in der Old Compton Street und stopften sich mit Couscous und kleinen exotischen Knabbereien voll, und von da aus gingen sie auf einen Tip von Sylvia hin in einen Pub in der Berwick Street, und sie tranken ein paar Gläser, und sie schwatzten.
    Das neue Mädchen aus der Computer-Service-Abteilung lächelte Richard im Laufe des Abends oft an, und er hatte ihr rein gar nichts zu sagen. Er gab eine Runde aus, und das Mädchen aus der Computer-Service-Abteilung half ihm, die Getränke an den Tisch zu bringen.
    Garry ging aufs Klo, und das Mädchen aus der Computer-Service-Abteilung kam und setzte sich neben Richard, da, wo Garry gesessen hatte. Richards Kopf war voll von dem Klirren der Gläser und dem Plärren der Jukebox und dem Geruch von Bier und verschüttetem Bacardi und Zigarettenrauch. Er versuchte, den Unterhaltungen am Tisch zuzuhören, und er stellte fest, daß er sich auf nichts von dem, was gesagt wurde, konzentrieren konnte, und daß er sich für keinen der Gesprächsfetzen, die er verstand, interessierte.
    Und da stand es ihm so deutlich vor Augen wie auf der großen Leinwand des Odeon am Leicester Square: Er würde heute mit dem Mädchen aus der Computer-Service-Abteilung nach Haus gehen, und sie würden miteinander schlafen, und da morgen Samstag war, würden sie den Morgen im Bett verbringen. Und dann würde er aufstehen, und sie würden zusammen seine Sachen aus den Teekisten auspacken, und in einem Jahr würde er das Mädchen aus der Computer-Service-Abteilung heiraten und noch einmal befördert werden, und sie würden zwei Kinder bekommen, einen Jungen und ein Mädchen, und sie würden hinaus in die Vorstadt ziehen, nach Harrow oder Croydon oder Hampstead oder sogar ins entlegene Reading.
    Und es wäre kein schlechtes Leben. Auch das wußte er. Manchmal kann man einfach nichts tun.
    Als Garry von der Toilette zurückkam, schaute er
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