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Nicodemus

Nicodemus

Titel: Nicodemus
Autoren: Blake Charlton
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fünfzig Jahren, als Shannon nach Starhaven gekommen war, hatte er begonnen, Kakographen zu unterrichten. Also konnte das Gerücht noch nicht so alt sein.
    Als Nicodemus am obersten Treppenabsatz angelangt war, drückte er die Eichentüren auf und blickte hinaus auf den mit grauem Schiefer gepflasterten Hof von Stone Court.
    Vor Hunderten von Jahren, zur Zeit des Neosolaren Reichs, als man die Chthonen aus Starhaven vertrieben hatte, war der Hof restauriert worden. Aber von den nachfolgenden Königreichen hatte keines mehr diesen Teil der Festung bebaut. Folglich zeigte sich hier in Stone Court die für das Starhavener Kaiserviertel typisch klassizistische Architektur: stuckverzierte Wände, gotische Türen und hohe Fenster. Obelisken flankierten die Eingänge.
    Doch da Stone Court etwas abseits lag, hatten die Zauberer hier auch einige Objekte hingeschafft, die man aufgrund ihrer Hässlichkeit den dichter besiedelten Vierteln nicht zumuten wollte.
    Dralische Monolithen tummelten sich in der Hofmitte. Marmorne Statuen von Erasmus und Uriel Bolide lungerten am östlichen Rand herum. Und überall – zusammengerollt, ausgestreckt oder sich auf dem Gesims räkelnd – schliefen die hausmeisterartigen Wasserspeier.
    Nicodemus machte sich in Richtung Speicherturm auf, der an Stone Courts östlicher Grenze lag. Da bemerkte er plötzlich, wie sich inmitten des Steinwaldes etwas bewegte.
    Er blieb stehen.
    Für einen Wasserspeier war die Bewegung zu geschwind gewesen. Und ein Novize sollte sich zu so später Stunde nicht mehr hier herumtreiben. Konnte es vielleicht eine streunende Katze sein?
    Da war es wieder, ein heller, verschwommener Fleck zwischen zwei Monolithen. Furcht packte ihn. Zauberer trugen ausschließlich schwarz. Andersfarbige Roben wiesen auf einen Fremden hin – oder einen Eindringling.
    Der blaue und der schwarze Mond waren beide hinter den vielen Türmen von Starhaven verborgen, aber der weiße Dreiviertelmond stand direkt über ihm am Himmel und warf sein milchiges Licht in den Innenhof. Während Nicodemus zwischen den Monolithen hindurchschlich, rollte sich ein am Boden liegender krokodilähnlicher Wasserspeier zur Seite und sah ihn aus einem halbgeöffneten Auge an.
    Hinter einem Monolith drang nun leises Flüstern hervor. »Wer ist da?«, fragte er beherzt und ging um den Stein herum.
    Vor ihm stand eine kleine, weißgekleidete Gestalt, die mit übermenschlicher Geschwindigkeit hochschoss.

Kapitel 4
    Magister Shannon saß hinter seinem Schreibtisch und blickte in die Richtung, aus der Smallwoods Stimme kam. »Ich danke dir, dass du zu so später Stunde noch gekommen bist, Timothy.«
    »Schon gut, ich bin immer lange auf«, sagte Smallwood in seiner typisch herzlichen Art. Der Stimme nach zu urteilen, musste der andere Zauberer am Bücherregal stehen.
    »Mich überrascht eher, dass du noch wach bist«, ergänzte Smallwood. »Du bist doch eigentlich gar keine Nachteule.«
    Shannon knurrte. »Bin ich auch nicht. Ich lag schon vor zwei Stunden im Bett. Ein Signaltext aus einem meiner Forschungsprojekte hat mich geweckt und mir berichtet, dass die Beschützer rund um den Speicherturm außergewöhnlich rege waren. Anscheinend haben sie irgendetwas über die Dächer gejagt.«
    »Schutzzauber.« Smallwood schnaubte verächtlich. »Schlampig geschrieben, wenn du mich fragst, überempfindliche Prosa. Wahrscheinlich haben sie bloß eine streunende Katze gejagt, die von den unbewohnten Vierteln hereinspaziert ist.«
    »Das war auch mein erster Gedanke. Ich bin hergekommen, um nachzuschlagen, wie man die Empfindlichkeit der Beschützer regulieren kann. Doch dann ist mein Lehrling aufgetaucht; offenbar hat er gehört, wie jemand über das Dach des Magazins gelaufen ist.«
    Wenn Shannon zu seinem Bücherregal blickte, konnte er durch die ledernen Buchdeckel hindurch die leuchtenden Absätze in den Büchern ausmachen. Vor seinen Augen löste sich jetzt ein rechteckiger grüner Text von den anderen und fiel in zwei kleinere Rechtecke auseinander. Smallwood hatte ein Buch aus dem Regal gezogen und blätterte darin. »Timothy, hörst du mir überhaupt zu?«
    »Was? Ja, ja, natürlich«, erwiderte Smallwood und fügte die grünenRechtecke wieder zusammen. »Du glaubst also, einer der Abgesandten schleicht auf den Dächern herum?«
    Shannon zuckte die Achseln. »Könnte ein fremder Zauberschreiber gewesen sein. Oder ein Zauberer.«
    »Aber warum sollte jemand ausgerechnet den Speicherturm bespitzeln? Ich weiß, wie sehr
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