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Nichts als Erlösung

Nichts als Erlösung

Titel: Nichts als Erlösung
Autoren: Gisa Klönne
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dem Tag, als er den Bronzeschild fand, waren die Mücken kein Thema. Aber da war es noch kalt – so kalt, dass man schon glaubte, es käme kein Sommer mehr, egal, wie viel alle vom Klimakollaps schwafeln.
    Er überprüft seine Position und wendet sich nach links. Sondengehen ist wie Angeln. Man muss Hitze, Kälte und Dreck abkönnen, und man braucht Geduld, viel Geduld, denn man weiß vorher nie, was man herausholen wird. Eine Getränkedose, drei Musketenkugeln, eine unidentifizierbare Münze sowie eine Anstecknadel mit Reichsadler und Hakenkreuz waren die nicht eben glorreiche Ausbeute seiner letzten zwei Nächte hier. Nicht einmal einer der Militaria-Freaks, von denen es in der Sondengängerszene nur so wimmelt, würde deshalb Hurra schreien. Die größte Überraschung war ein Vogelfuß, auf dessen Aluminium-Beringung der Deus angeschlagen hatte. Eigenartig vollkommen hatten die filigranen Knöchelchen gewirkt, fast wie ein Kunstwerk. Er hatte überlegt, sie Sabine mitzubringen, es dann aber doch gelassen.
    Schritt, Schwung, Schritt, Schwung. Der Deus summt Undefiniert, die Sonde verheddert sich zum x-ten Mal im Unkraut. Er bückt sich, um sie zu befreien, fühlt einen neuen Mückenstich im Nacken. Hat sich da drüben zwischen den Bäumen etwas bewegt? Nein, nichts, nur ein tief hängender Ast. Vielleicht hat ein Fuchs den Vogelleib gefressen und den beringten Fuß verschmäht. Oder der Vogel war in ein Sumpfloch geraten, wo er sich langsam zersetzte, und aus irgendeinem Grund kam der Fuß wieder nach oben. Der Boden arbeitet, bewegt sich, schlingt Dinge herunter, bringt sie irgendwann wieder hoch, das hat er beim Sondengehen schon oft erlebt. Man sucht ein Feld sorgfältig ab und findet nichts. Der Bauer pflügt drüber. Wieder nichts. Und dann, ein Jahr später, spielt der Detektor genau auf diesem Feld verrückt, und man gräbt einen Silberkreuzer aus dem 17. Jahrhundert aus, eine Soldatenmarke aus dem Zweiten Weltkrieg oder eine Fibel aus der Bronzezeit. Irgendwann kommt alles wieder hervor – oder zumindest so weit an die Oberfläche, dass die Sonde es finden kann.
    Eric Sievert macht einen Schritt vorwärts. Der Boden gibt nach, sein rechter Fuß sackt bis zur Wade in schwarzen Modder. Es gluckst, als er den Gummistiefel wieder rauszieht, selbst durch die Kopfhörer kann er das hören. Vielleicht war der Bronzeschild ja doch der einzige Schatz, der hier zu heben ist. Der Deus XP ist ein leistungsstarker Detektor. Etwa 30 Zentimeter tief spürt seine Magnetspule in den Boden, je nach Größe des Fundstücks etwas weniger oder mehr. Aber vielleicht reicht das nicht für die Suche in einem Auenwald. Weil der Sumpfboden hier vollkommen anders beschaffen ist als die lockere Erde auf einem Feld. Weil die Auenwaldbäume das, was einmal zwischen ihre Wurzeln geraten ist, nicht mehr loslassen, sondern immer tiefer hinabziehen, tief genug, um den ewigen Überschwemmungen zu trotzen. Oder ist es genau umgekehrt, und der Morast presst alle Fremdkörper umso schneller nach oben, was bedeuten würde, dass die Hinterlassenschaften der Römer und Nibelungen schon vor Jahrhunderten wieder ans Licht gekommen sind?
    Der Deus gibt ein Signal von sich, ein tiefes Brummen. Gold! Eric Sievert erstarrt und checkt die Frequenz auf dem Display des Detektors. Diskrimination ist ein Hightech-Feature des Deus’ – jedes Metall hat seine eigene Frequenz, sodass man schon vor dem Graben ungefähr weiß, was einen erwartet. Nur Gold und Aluminium klingen fast identisch. Er führt die Sonde erneut über den Boden. Langsamer diesmal. Wieder brummt der Deus. Doch bevor er die Stelle mit dem Pointer näher präzisieren kann, fiedelt sein Handy Sabines Melodie. Es wird dämmrig, wird ihm schlagartig bewusst. Er hat die Zeit vergessen, wollte schon längst auf dem Heimweg sein.
    »Jan hustet wieder.« Sabines Stimme klingt belegt, wie immer, wenn sie aus dem Tiefschlaf gerissen wurde. Jan hustet wieder. Nicht: Wo bist du oder warum bist du nicht bei mir, und genau dafür liebt er sie. Dass sie ihm seine Freiheit lässt, weil sie die auch für sich beansprucht. Die ungeschminkte Wahrheit, hatte er gedacht, als sie ihm zum allerersten Mal die Tür öffnete und keinerlei Anstalten machte, ihr vom Heulen verquollenes Gesicht vor ihm zu verbergen. Mein Mann hat mich sitzenlassen, dem wurde das hier alles zu viel, hatte sie ihm sehr sachlich erklärt und eine vage Handbewegung gemacht, die ihr mehr als renovierungsbedürftiges Haus und den
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