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NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)

NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)

Titel: NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)
Autoren: Miriam Meckel
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stimmt, ich bin unglücklich.
    Glauben Sie, dass dieses Gespräch Ihnen hilft, nicht mehr unglücklich zu sein?
    Ich brauche jedenfalls Hilfe, das steht fest.
    Was würde es für Sie bedeuten, Hilfe zu bekommen?
    Vielleicht könnte ich lernen, mit meiner Mutter auszukommen .
    Erzählen Sie mir mehr über Ihre Familie.
    Meine Mutter erledigt alles für mich.
    Wer in Ihrer Familie erledigt noch alles für Sie?
    Mein Vater.
    Ihr Vater.
    Sie sind ein wenig wie mein Vater.
    Welche Ähnlichkeiten sehen Sie?
    Sie sind nicht besonders aggressiv, aber ich glaube, Sie möchten nicht, dass ich Sie beachte.
    Was lässt Sie vermuten, dass ich nicht sehr aggressiv bin?
    Sie streiten nicht mit mir.
    Wieso glauben Sie, dass ich nicht mit Ihnen streite?
    Sie haben Angst vor mir.
    Macht Ihnen der Gedanke Spass, dass ich vor Ihnen Angst habe?
    Mein Vater hat vor jedem Angst.
    Was fällt Ihnen noch ein, wenn Sie an Ihren Vater denken?
    Angeber.
    Hat das etwas damit zu tun, dass die Idee zu diesem Gespräch von Ihrem Freund stammt?
     
    Es ist vielleicht ein wenig übertrieben formuliert, aber dieser Dialog hat zumindest mit dazu beigetragen, dass aus dem Schöpfer von «Eliza» schließlich ein dezidierter Gegner der Künstlichen Intelligenz wurde. Warum das so war? Weil beide Reaktionsarten der Menschen letztlich entzaubernde Einblicke boten. Da ist auf der einen Seite die Nutzerin, die in diesem Dialog mit «Eliza» spricht. Wenn man den Dialoggenau analysiert, erkennt man, dass sie fortdauernd auf zustandslose Aussagen hereinfällt. Jedes Frage-Antwort-Paar kann für sich alleine stehen. Kein Satz, den «Eliza» anbietet, bezieht sich auf den Kontext des Dialogs, lediglich der letzte vorangegangene Satz ist Bezugspunkt.
    Insofern ist diese Sequenz ein Beleg für die Aussage eines berühmten Soziologen aus der Körperzeit, der lautet: «Kommunikation ist unwahrscheinlich.» 127 Und sie ist auch ein Beleg dafür, dass das gar nichts ausmacht. Solange der Mensch in einer selbstbezüglichen Fiktion das Gefühl hat, er spräche und es hörte ihm jemand zu, ist alles gut. Wie hat es die Werbekampagne einer großen Bank im 21. Jahrhundert der Körperzeit auf den Punkt gebracht? «The difference between being listened to and being understood.» 128 Für den Menschen reichte oft, dass ihm zugehört wurde. Manchmal reichte auch die Vorstellung davon. Es gab früher Menschen, die noch minutenlang in kleine Maschinen gesprochen haben, die für Sprachfernkommunikation erfunden waren, auch wenn der Teilnehmer am anderen Ende der Verbindung sich schon längst ausgeklinkt hatte. Es ist schon erstaunlich: Wir haben früher um wenig mehr Aufhebens gemacht als um unsere soziale Ein-und Anbindung. Aber manchmal haben wir nicht einmal in dem simpelsten Gespräch bemerkt, dass wir auf einem Grat unterwegs sind, wo es rechts und links keine Haltegriffe gibt, wo das, was hinter uns liegt, unmittelbar wegbricht, nachdem wir den Fuß ein Stück weiter vorne aufgesetzt haben.
    «Eliza» hatte es folglich leicht. Sie hat einfach Bestandteile der Aussagen des Nutzers wiederholt, in Frageform gekleidet. Die Maschine war der Sprachspiegel des Nutzers, nicht mehr. Aber das hat gereicht, um ihr Menschlichkeit zu unterstellen. In anderen Fällen sträubten sich die menschlichenNutzer sogar aktiv gegen die Information, bei «Eliza» handele es sich um einen Computer. Sie wollten nicht einmal mehr dem Erzeuger glauben, dass er eine Maschine geschaffen hat. Stattdessen bestanden sie darauf, in Ruhe gelassen zu werden, um «privat» weiter mit «Eliza» sprechen zu können. 129
    Manche Menschen entwickelten so ein virtuelles Stockholmsyndrom. Sie hätten rational erkennen können, dass die Maschine ihnen einfachste Regeln auferlegte. Und sie hätten rational ableiten müssen, dass es Veränderungen für die Menschen bedeuten musste, wenn sie sich der Maschine unterwarfen. Negative Veränderungen, die ihre Freiheit, ihre Wahlmöglichkeiten, ihr Recht auf Zufall und Unsicherheit weitgehend beschränken würden. Aber stattdessen richteten sie ihre Zuneigung, gar ihre Liebe auf die Maschine. Sie wurden blinde Kumpane, unfähig zur Reflexion des Geschehens, das sie doch so unmittelbar betraf. Wie hieß es doch in der Körperzeit? «Nicht enthüllen, wenn dir die Freiheit lieb ist, denn mein Antlitz ist Kerker der Liebe.» 130 Dieses Antlitz brauchte nicht einmal mehr ein menschliches zu sein, eine Datenfolge reichte. Den Rest hat der Mensch durch Imagination erledigt. Da
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