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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition)
Autoren: Ulrich Wickert
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Kunst und Text zusammen.
    Dann erschien er mit dem »Simplicissimus« bei mir im ARDStudio. Ein großer, dicker Band. In Leinen gebunden, nummeriert und vom Künstler Fritz Eichenberg mit Bleistift signiert. Die Auflage lag bei zweitausend Exemplaren. Mir schenkte er die Nummer 1936. Das tat er allerdings erst bei seinem zweiten Besuch. Denn ich hatte ihm erklärt, dass das Deutsche Fernsehen wirklich kein Interesse an einem Bericht über das Buch hätte. Aber ich machte ihn aufmerksam auf Günter Grass, der zu seinem Roman »Der Butt« auch eine Reihe von Grafiken gezeichnet hätte. Eine davon hatte er dem Maler an der Mauer der Demokratie in Peking geschenkt, eine nicht nummerierte mit »e.a.«, also »épreuve d’artiste«, gezeichnete mir. Die zeigte ich Ben Shiff. Er war begeistert.
    Einige Wochen zuvor waren Günter und Ute Grass in New York gewesen, wir hatten unsere Bekanntschaft vertieft, und sie hatten mich mitgenommen zu einer Einladung von Günters Verlegerin Helen Wolff, wo ich John Irving traf, der mir ausführlich erklärte, dass er von Günter Grass zum Schreiben angeregt worden sei. Er hatte in Wien zwei Semester studiert, war auf die »Blechtrommel« gestoßen, hatte sie fast auswendig gelernt, womit er – so sagte er – bei Mädchen großen Erfolg habe, und danach sein erstes Buch geschrieben.
    Ich bot Ben Shiff an, Günter Grass zu fragen, ob er mit einer Sonderausgabe seines Buches »Der Butt«, versehen mit seinen Grafiken, im Limited Editions Club einverstanden sei. Ben brachte mir daraufhin zwei Exemplare des »Simplicissimus«. Eines für Grass, eines für mich. Wenige Wochen später war ich in Berlin zu einer Fernsehdiskussion und besuchte Grass in seinem Haus in Friedenau. Er war einverstanden. Und Ben Shiff machte sich an die Arbeit. Er ließ bei den Mohawk Mills, einer Papiermühle, ein besonders weiches gräuliches Papier schöpfen. Dann stellte er fest: Das Buch ist zu umfangreich, es müsse in drei Bänden erscheinen, in einem Schuber stehen. Schließlich fand er ein farblich passendes Leinen für den Einband, nachdem es ihm nicht gelungen war, das Buch in eine Fischhaut zu binden. Aber in Asien trieb er wenigstens gegerbte Aalhaut für den Buchrücken auf. Die Arbeit an dem Buch dauerte vier Jahre, dann erschien es in einer Auflage von tausend Exemplaren. Jedes war im dritten Band von Günter Grass mit Bleistift signiert. Ben brachte mir, der ich inzwischen wieder in Paris Korrespondent war, mein persönliches Exemplar mit. Inzwischen hatte ich ihn auf Eugène Ionesco aufmerksam gemacht, der auch malte. Als ich meine drei Bände von »The Flounder« aufschlug, entdeckte ich einen Fehler. Zwar war das Exemplar nicht nummeriert, es war also auch eine Art »épreuve d’artiste«, aber die letzten beiden Seiten des dritten Bandes waren doppelt, und so befand sich die Unterschrift von Grass gleich zweimal in dem Band. Ben Shiff wollte den Fehldruck sofort wieder einsammeln. Aber ich habe ihn nicht mehr aus den Händen gegeben.
    Bald sahen das Ehepaar Grass und ich uns regelmäßig. Als ich wieder in Paris als Korrespondent arbeitete, hockten wir eines Abends so lang im »Café de Flore« im Quartier latin, dass die Kellner schon alle Stühle rings um uns herum auf die Tische gestellt hatten, aber keiner drängte uns zu gehen. Im Gegenteil. Als wir aufbrachen, fragte ein Garçon höflich, ob wir nicht noch etwas bestellen wollten.
    Als ich dann nach Hamburg gezogen war, um die Tagesthemen zu moderieren, fuhr ich häufiger zum Abendessen nach Behlendorf in das, einsam am Waldrand gelegene, Haus, in dem Ute und Günter inzwischen wohnten. Beide kochen hervorragend. Ich konnte dagegen, wenn sie zu mir kamen, eher mit gutem Bordeaux-Wein imponieren.
    Ute Grass, eine beeindruckende Persönlichkeit, stammt von der schönen Insel Hiddensee und hat sich in der DDR zur Organistin ausbilden lassen. Auf Hiddensee hat Gerhart Hauptmann seine letzten Lebensjahre verbracht. Als Kind hat sie ihn immer artig gegrüßt.
    So ganz nebenbei, als sei es ein Spaziergang gewesen, erzählte sie mir von ihrer Flucht. Sie hatte mit Hilfe von Freunden geplant, im August 1961 Hiddensee zu verlassen, hatte sich Reisepapiere organisiert, darunter war auch der Pass einer blonden Schwedin, die in Westberlin lebte. Doch als Ute in Ostberlin ankam, war wenige Tage zuvor die Mauer gebaut worden. Dort stand sie gerade verzweifelt an einer Ampel, als ein Italiener mit seinem offenen Alfa-Romeo Sportwagen hielt. Sie winkte
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