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Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim
Autoren: Gesa Schwartz
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Spiegelbilder sich Nando zu, ihre Blicke brannten in grausamer Kälte auf seiner Haut, doch noch während der Schrecken über diesen Anblick durch seine Glieder raste, setzten sich die Scherben in Bewegung und stoben auf ihn zu.
    Eilig hob er die Arme, um sie abzuwehren, doch seine Magie erzielte keine Wirkung. Zischend zerfetzten die Scherben seine Kleider, schnitten tief in sein Fleisch und jagten mit dem unerträglichen Lachen durch die Finsternis. Nando fiel auf die Knie, verzweifelt versuchte er, sich vor den Angriffen zu schützen. Die Wunden brannten wie Feuer, doch schlimmer noch als das war der Umstand, dass er mit jedem Schnitt das fühlte, was das jeweilige Spiegelbild empfand. Er spürte die Euphorie desjenigen, der über die brennenden Städte der Menschen hinwegjagte, fühlte die Schatten der Säle auf seinem Gesicht und etwas wie Sehnsucht nach der Kälte des Zepters an seinen Fingern. Rasch senkte er den Blick, um die Bilder nicht länger ertragen zu müssen, doch er hörte das Lachen der Scherben in sich widerhallen, als würde es aus ihm selbst hervorbrechen. Panisch griff er sich an die Kehle, er wusste, dass er verloren war, wenn er auch nur einen Ton dieses Gelächters über die Lippen bringen würde. Hilflos kauerte er sich zusammen, er konnte seine Musik kaum noch hören. Unter ihm bildete sein Blut eine Lache, und er schaute sich selbst ins Gesicht.
    Weder die Farbe seiner Augen noch seiner Haare konnte er erkennen, aber er sah das spöttische Lächeln, das ihm einen Schauer über den Rücken schickte. Und doch konnte er sich von diesem Spiegelbild nicht lösen. Denn er sah auch die Verzweiflung in seinem Blick, die Ohnmacht und die Traurigkeit – und da war noch etwas anderes, etwas, das ihm für einen Moment den Atem stocken ließ. Ein ungebrochener Wille stand in seinen Augen, und kurz meinte Nando, Antonios Stimme durch das Scherbenlachen zu hören: und eine Stärke, die der Zweifel nicht zerbrechen, sondern nur mächtiger machen kann.
    Nando sah etwas wie Erstaunen über das Gesicht seines Spiegelbildes flackern, doch er achtete kaum darauf. Zischend raste eine Scherbe an seiner Schulter vorbei und grub sich tief in seinen Arm, aber als die Empfindung von unbändigem Zorn sich in seine Glieder ergießen wollte, hob er den Kopf und drängte sie mit aller Macht zurück. Entschlossen ballte er die Fäuste. Mochte er unsicher sein und schwanken, mochte er immer wieder verzweifeln und sich selbst verfluchen auf dem Weg, der vor ihm lag – doch er würde sich nicht davon abhalten lassen, ihn zu gehen, schon gar nicht von seiner eigenen Furcht und seinem Zweifel!
    Er kam auf die Beine, stieß den Arm vor und befahl die größte Scherbe des Spiegels in seine Faust. Mit flammenden Augen stierte sein Spiegelbild ihn an, doch Nando wandte den Blick nicht ab. Er fixierte das Gold der Teufelsaugen, den Schimmer der Haare und das verschlagene Lächeln – und er erwiderte es für einen Moment.
    Ich entscheide, wer ich bin und werde , raunte er sanft.
    Er sah noch den Schrecken in den Augen seines Spiegelbildes, ehe er den Kopf in den Nacken legte und schrie. Die Scherben um ihn herum zerbrachen in funkensprühenden Explosionen und zerschnitten die Finsternis, die sie umgab, als wäre diese nichts als ein seidenes Tuch. Licht brach durch die Risse, Nando hob die letzte Scherbe hoch in die Luft. Noch einmal sah er seinem fremden Spiegelbild ins Gesicht, doch kaum dass sich das Licht in der Scherbe brach, verschwand die Fratze, als wäre sie nicht mehr als eine Maske gewesen, und ließ nichts als Nandos wahres Spiegelbild zurück. Im gleichen Moment verstummte das Lachen, und die Musik brandete mit voller Kraft um ihn herum auf. Nando schleuderte die Scherbe hoch in die Luft, ein Drache erstand in ihrem Inneren, und als sie zerbrach, schoss er aus ihr hervor und bäumte sich brüllend in der versagenden Dunkelheit auf, umtost von Licht und Schatten. Nando hielt den Atem an. Er war in seine eigene Finsternis gefallen, in jene Nacht, die er in gleißenden Tag verwandeln konnte – und er wusste, dass in ihr alles möglich war. In ihr konnte er sein, wer er war, und er fiel nicht – er flog!
    Mit einem Schrei riss Nando die Augen auf, sein Bogen flog über die Saiten, während er den Zauber brüllte und einen gewaltigen Feuerstrom aus seiner Geige in den Himmel über Bantoryn schickte. Donnernd brachen die Flammen sich ihren Weg und formten sich zu dem Drachen, der ihm gerade in seinem Inneren erschienen
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