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Nemesis 06 - Morgengrauen

Nemesis 06 - Morgengrauen

Titel: Nemesis 06 - Morgengrauen
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die Richtung an, die ich auch bei meinem Fluchtversuch eingeschlagen hatte, und passierten den so genannten Versorgungspunkt II, den kleinen Raum, der als Chemikalien- und Pillendepot diente und der für mich als Sackgasse geendet hatte.
    Der Gedanke traf mich plötzlich und mit der Wucht eines Hammerschlages: Was würden wir tun, wenn uns nun jemand anders auf dem Gang begegnete? Der ganze Schwindel würde sofort auffliegen! Wie viele Menschen konnte ich gleichzeitig manipulieren?
    Ich musste es auf den Versuch ankommen lassen, denn ich hatte überhaupt keine andere Wahl. Wir mussten heraus aus dieser Anlage hier und irgendjemanden verständigen, damit dieser Wahnsinn hier ein Ende hatte.
    Aber an wen konnten wir uns wenden? Versuchten wir es auf der nächsten Polizeiwache, würden die Beamten Ellen und mich wahrscheinlich für verrückt erklären und ohne großes Federlesen in eine geschlossene Anstalt einweisen.
    Was heute Nacht hier geschehen war, war einfach viel zu verrückt, als dass wir auch nur die Hälfte davon hätten erzählen können, ohne für komplett durchgeknallt erklärt zu werden. Ein steinalter Professor, der noch immer seine Menschenversuche fortsetzte, mit denen er im Dritten Reich begonnen hatte, das war doch vollkommen wahnsinnig.
    Abgesehen davon war es auch möglich, dass Professor Sänger dort draußen Helfer hatte, die sein Unternehmen deckten. Diese ganze Anlage war viel zu gewaltig, um jahrzehntelang keine Aufmerksamkeit zu erwecken. Er hatte selbst behauptet, dass er von einer Gruppe Leute unterstützt wurde – von einflussreichen Leuten! Wir sollten uns wirklich gut überlegen, an wen wir uns wenden sollten, wenn wir diese Geschichte überhaupt weitererzählten. Vielleicht hatten Sängers Leute schon längst damit begonnen, alle Spuren in der Burg zu beseitigen, die darauf hinwiesen, was dort in der Nacht geschehen war.
    Ellen war die einzige Zeugin, die ich für diese wahnwitzige Geschichte aufzuweisen hatte. Ich beschloss, ihr Leben zu hüten wie mein eigenes.
    Das Licht auf dem langen Flur flackerte kurz auf, dann verloschen schlagartig alle Lampen. Lediglich die Notbeleuchtung mit den kleinen grünen Lämpchen, die zum nächsten Fluchtweg hinwiesen, blieb noch an. Der Gang war nun in weite Strecken von Dunkelheit getaucht, die nur hin und wieder durch kleine grüne Lichtinseln unterbrochen wurden.
    Der hünenhafte Pfleger wandte sich zu mir um. Ich konnte sein Gesicht nur undeutlich erkennen, aber aus der Stimme des Mannes klang deutlich seine Verwunderung, ja, sogar ein Anflug von Bestürzung. »Was ist das?«, fragte er.
    »Ein Stromausfall«, antwortete ich barsch und hoffte, dass mein Tonfall jede weitere Frage im Keim erstickte.
    »Aber ... wir haben doch eigene Aggregate«, entgegnete der Mann. »Wir sind unabhängig vom Netz und –«
    »Ich werde mich darum kümmern!«, schnitt ich ihm das Wort ab. Mit eisigem Schrecken traf mich die Erkenntnis, worum es sich in Wirklichkeit handeln musste: die Kameras! Ich konnte vielleicht diesen Pfleger täuschen, nicht aber die Wächter, die an ihren Monitoren beobachtet haben mussten, was im Krankenzimmer geschehen war.
    Wie konnte ich nur so dämlich gewesen sein, erst jetzt daran zu denken!
    Die Witterung des Pflegers hatte sich verändert. Deutlich konnte ich seine Unruhe riechen. Er sonderte mehr Schweiß ab, auch wenn er es nicht mehr wagte, den vermeintlichen Professor anzusprechen.
    Ich stellte mir vor, wie andere Pfleger mit Nachtsichtgeräten durch die Gänge der Klinik pirschten. Wie viele Killer mochte Sänger unter seinem Kommando haben? Ob nicht sogar die Ärzte bereitwillig mitmachen würden, wenn es darum ging, die Geheimnisse der Klinik zu schützen? Außerdem wussten sie, mit wem sie es zu tun hatten und welche Gefahr von mir ausgehen konnte. Ich fragte mich, ob ich an ihrer Stelle zögern würde, dieses Ungeheuer aufzuhalten, das ich war, diesen neuen Menschen, der sich gerade seinen Weg nach draußen zu bahnen versuchte. Vermutlich nicht, schätzte ich. Nun konnte ich auch wahrnehmen, wie mein eigener Körpergeruch sich veränderte. Ob die beiden anderen es wohl ebenfalls bemerkten?
    Unsinn, schalt ich mich in Gedanken. Ich war nun anders als sie. Ein normaler Mensch konnte all das überhaupt nicht wahrnehmen.
    Mittlerweile konnte ich in der Dunkelheit ein wenig besser sehen. Meine Augen passten sich ungewöhnlich schnell an die veränderten Lichtverhältnisse an. Laut wie ein Donnerhall klang mein Herzschlag in
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