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Nathan der Weise

Nathan der Weise

Titel: Nathan der Weise
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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Prinzessin! Nenn

    Mich Sittah, - deine Freundin, - deine Schwester.

    Nenn mich dein Mütterchen! - Ich könnte das

    Ja schier auch sein. - So jung! so klug! so fromm!

    Was du nicht alles weißt! nicht alles mußt
    Gelesen
    haben!
    RECHA.
    Ich gelesen? - Sittah,

    Du spottest deiner kleinen albern Schwester.

    Ich kann kaum lesen.
    SITTAH.
    Kannst kaum, Lügnerin!
    RECHA.
    Ein wenig meines Vaters Hand! - Ich meinte,

    Du sprächst von Büchern.
    SITTAH.
    Allerdings! von Büchern.
    RECHA.
    Nun, Bücher wird mir wahrlich schwer zu lesen! -
    SITTAH. Im
    Ernst?
    RECHA. In
    ganzem
    Ernst. Mein Vater liebt

    Die kalte Buchgelehrsamkeit, die sich

    Mit toten Zeichen ins Gehirn nur drückt,
    Zu
    wenig.

    98
    SITTAH.
    Ei, was sagst du! - Hat indes

    Wohl nicht sehr unrecht! - Und so manches, was
    Du
    weißt
    …?
    RECHA.
    Weiß ich allein aus seinem Munde

    Und könnte bei dem meisten dir noch sagen,

    Wie? wo? warum? er mich’s gelehrt.
    SITTAH. So
    hängt

    Sich freilich alles besser an. So lernt

    Mit eins die ganze Seele.
    RECHA. Sicher
    hat

    Auch Sittah wenig oder nichts gelesen!
    SITTAH.
    Wieso? - Ich bin nicht stolz aufs Gegenteil. -

    Allein wieso? Dein Grund! Sprich dreist. Dein Grund?
    RECHA.
    Sie ist so schlecht und recht; so unverkünstelt;

    So ganz sich selbst nur ähnlich …
    SITTAH. Nun?
    RECHA. Das
    sollen

    Die Bücher uns nur selten lassen! sagt
    Mein
    Vater.
    SITTAH.
    O was ist dein Vater für
    Ein
    Mann!
    RECHA. Nicht
    wahr?
    SITTAH.
    Wie nah er immer doch
    Zum
    Ziele
    trifft!
    RECHA.
    Nicht wahr? - Und diesen Vater -
    SITTAH.
    Was ist dir, Liebe?
    RECHA. Diesen
    Vater
    -
    SITTAH. Gott!
    Du
    weinst?
    RECHA.
    Und diesen Vater - Ah! es muß

    Heraus! Mein Herz will Luft, will Luft …

    (Wirft sich, von Tränen überwältiget, zu ihren Füßen.) SITTAH. Kind,
    was

    Geschieht dir? Recha?
    RECHA.
    Diesen Vater soll -

    Soll ich verlieren!
    SITTAH.
    Du? verlieren? ihn?

    Wie das? - Sei ruhig! - Nimmermehr! - Steh auf!
    RECHA.
    Du sollst vergebens dich zu meiner Freundin,

    Zu meiner Schwester nicht erboten haben!
    SITTAH.
    Ich bin’s ja! bin’s! - Steh doch nur auf! Ich muß
    Sonst
    Hilfe
    rufen.
    RECHA.
    (die sich ermannt und aufsteht)

    Ah! verzeih! vergib! -

    Mein Schmerz hat mich vergessen machen, wer

    Du bist. Vor Sittah gilt kein Winseln, kein
    Verzweifeln.
    Kalte, ruhige Vernunft

    Will alles über sie allein vermögen.

    99

    Wes Sache diese bei ihr führt, der siegt!
    SITTAH. Nun
    dann?
    RECHA.
    Nein; meine Freundin, meine Schwester

    Gibt das nicht zu! Gibt nimmer zu, daß mir

    Ein andrer Vater aufgedrungen werde!
    SITTAH.
    Ein andrer Vater? aufgedrungen? dir?

    Wer kann das? kann das auch nur wollen, Liebe?
    RECHA.
    Wer? Meine gute böse Daja kann

    Das wollen, - will das können. - Ja; du kennst

    Wohl diese gute böse Daja nicht?

    Nun, Gott vergeb’ es ihr! - belohn’ es ihr!

    Sie hat mir so viel Gutes, - so viel Böses
    Erwiesen!
    SITTAH.
    Böses dir? - So muß sie Gutes

    Doch wahrlich wenig haben.
    RECHA.
    Doch! recht viel,
    Recht
    viel!
    SITTAH. Wer
    ist
    sie?
    RECHA.
    Eine Christin, die

    In meiner Kindheit mich gepflegt; mich so

    Gepflegt! - Du glaubst nicht! - Die mir eine Mutter

    So wenig missen lassen! - Gott vergelt’

    Es ihr! - Die aber mich auch so geängstet!

    Mich so gequält!
    SITTAH.
    Und über was? warum?
    Wie?
    RECHA.
    Ach! die arme Frau - ich sag dir’s ja -

    Ist eine Christin; - muß aus Liebe quälen; -

    Ist eine von den Schwärmerinnen, die

    Den allgemeinen, einzig wahren Weg

    Nach Gott zu wissen wähnen!
    SITTAH. Nun
    versteh
    ich!
    RECHA.
    Und sich gedrungen fühlen, einen jeden,

    Der dieses Wegs verfehlt, darauf zu lenken. -

    Kaum können sie auch anders. Denn ist’s wahr,

    Daß dieser Weg allein nur richtig führt:

    Wie sollen sie gelassen ihre Freunde

    Auf einem andern wandeln sehn, - der ins

    Verderben stürzt, ins ewige Verderben?

    Es müßte möglich sein, denselben Menschen

    Zur selben Zeit zu lieben und zu hassen. -

    Auch ist’s das nicht, was endlich laute Klagen

    Mich über sie zu führen zwingt. Ihr Seufzen,

    Ihr Warnen, ihr Gebet, ihr Drohen hätt’

    Ich gern noch länger ausgehalten; gern!

    Es brachte mich doch immer auf Gedanken,

    Die gut und nützlich. Und wem schmeichelt’s doch

    Im Grunde nicht, sich gar so wert und teuer,

    100

    Von wem’s auch sei, gehalten fühlen, daß

    Er den Gedanken nicht ertragen kann,

    Er müss’ einmal auf ewig uns entbehren!
    SITTAH. Sehr
    wahr!
    RECHA.
    Allein - allein - das geht
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