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Nadel, Faden, Hackebeil

Nadel, Faden, Hackebeil

Titel: Nadel, Faden, Hackebeil
Autoren: Tatjana Kruse
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nickte. Sissi und sie waren das typische Freundinnenpaar: die aufregende Society-Schönheit und ihre mausgraue, hässliche beste Freundin, die sie sich nur deshalb ausgesucht hatte, weil sie neben ihr umso mehr glänzen konnte.
    Fippa hatte keine Angebote, nie gehabt. Auf einer Familienfeier auf Schloss Sölln hatte sie einst die Trunkenheit eines Cousins dritten Grades ausgenutzt und ihm mehr oder weniger gegen seinen Willen ihre Jungfräulichkeit geschenkt. Und seit drei Jahren war sie nun mit Rudolf verlobt, einem weiteren Cousin x-ten Grades, der eine wandelnde Aknenarbe war und stotterte, für den sie aber die Liebe seines Lebens verkörperte – und es ist für eine Frau nicht das Schlechteste, mehr geliebt zu werden, als selbst zu lieben. Vor allem, wenn sie von einem stinkreichen Adligen mit mehreren Aufsichtsratssitzen geliebt wurde. Fürs Herz hatte sie ja ihren heimlichen Gelegenheitslover, der sie schon beglückte, wenn sie nur an ihn dachte.
    Sissi klagte ununterbrochen weiter. »Weißt du noch, auf der letzten Vernissage in der Kunsthalle Würth? Dieser Frankfurter Banker? Mit dem habe ich mich schon zwei Mal getroffen. Der würde seine Frau sofort für mich verlassen. Und der Medienfuzzi aus Potsdam? Ich kriege täglich eine SMS von ihm.« Sissi seufzte. Blöderweise war es ihr größter Traum, Ministergattin zu werden. Aber von Politikern bekam sie nie Angebote. Man schlief nicht mit der Frau eines Kollegen. Das kam in der Presse total schlecht, falls es je auffliegen sollte.
    Nein, wenn sie einen neuen Politiker wollte, einen anderen und besseren und aussichtsreicheren, musste zuerst Lambert weg.
    Aber wie?
    Sissi seufzte.

16 : 00  Uhr
    Die ganze Welt ist eine Bühne – aber manche von uns spielen auf den Brettern, die die Welt bedeuten, keine Hauptrolle, auch keine Nebenrolle, sondern fegen die Bretter nach der Vorstellung nur sauber …
     
    »Also, Leute, wir brauchen einfach mehr Abonnenten, sonst sieht es mau aus. Gebt alles!«
    El Presidente, wie der Chef des Theaterrings von allen genannt wurde, nickte seinen Freiwilligen aufmunternd zu.
    Die TMG , die Touristik- und Marketinggesellschaft Schwäbisch Hall, hatte sich zur Bespaßung der Bürger mal wieder etwas einfallen lassen und einen Mittelaltermarkt in die Stadt gelockt. Gaukler und Stelzenläufer und Spielleute und viel fahrendes Volk tummelten sich zwischen Schulgasse, Hafenmarkt und Sparkassenplatz, boten Waren feil oder ergötzten das Volk neben lodernden Feuerkörben mit allerlei närrischen und akrobatischen Kunststücken.
    Und zwei Stunden lang würden sich Freiwillige des Theaterringes unter die Menschenmassen mischen, um Werbung für das anstehende Stück
Doktor Faustus
zu machen, mit dem das Theaterschiff Dresden derzeit auf Tournee durch ganz Deutschland war und dabei auch Station im Schwäbisch Haller Neubausaal machen wollte. Leider wussten immer noch viel zu wenig Haller, was für spannende und unterhaltsame Stücke der Theaterring auf die Bühne holte. Wer in Hall an Theater dachte, dachte an die Freilichtspiele. Dem musste abgeholfen werden!
    El Presidente warf einen letzten, prüfenden Blick auf Karina Seifferheld als freizügig dekolletierte Marketenderin, die einen blökenden Ziegenbock an einem Seil hielt, und auf ihren Studienkollegen Tayfun Ünsel als Herold mit Tröte. Er selbst ging im Kostüm des Doktor Faustus. Ziel war es, nicht nur Flyer mit dem Spielplan zu verteilen, sondern die Leute im netten Gespräch auch neugierig auf den Theaterring zu machen. El Presidente war absolut sicher, wenn man nur ein einziges Mal erlebt hatte, wie im Neubausaal theatermäßig die Post abgehen konnte, kam man gern wieder. Und erwarb im günstigsten Fall auch gleich noch ein Abonnement.
    »Ihr wisst, was ihr zu tun habt?«, fragte er.
    Tayfun und Karina nickten.
    »Ködern, ködern, ködern«, sagte Karina. »Gibt’s eine Kopfprämie?«
    »Wenn ich jetzt ja sage, stürzt du dich dann mit mehr Feuereifer ins Gefecht?«
    »Aber hallo. Dann shanghaie ich dir mindestens hundert stramme, junge Männer.«
    El Presidente lachte. »Nimm bitte dein Kostüm nicht allzu wörtlich. Und das mit dem Ziegenbock geht in Ordnung? Ist das nicht zu viel Stress für das Tier?«
    Karina schüttelte den Kopf. »Nee, Otto ist das gewohnt. Hat früher für einen kleinen Zirkus gearbeitet. Auf dem Gnadenhof von Karla, wo er jetzt sein Altersbrot bekommt, fehlt ihm der Trubel. Wirst sehen, der blüht hier im Getümmel richtig auf. Nicht wahr,
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