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Nachtzug

Titel: Nachtzug
Autoren: Barbara Wood , Gareth Wootton
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Keppler zu seiner Erleichterung, daß der Anschlußzug nach Sofia in Kürze eintreffen werde. Es schneite immer noch, und das graue, metallisch schimmernde Morgenlicht verhieß beständigen Schneefall für den ganzen Tag. Man konnte dem jungen SS -Mann, der mit den wenigen anderen Passagieren auf dem Bahnsteig stand, deutlich anmerken, daß er schnell weiterreisen wollte. Ein paar Meter von Keppler entfernt, der ungeduldig die Gleise beobachtete, befand sich eine junge Frau, die ihn mit flüchtigen Blicken bedachte. Irgend etwas an dem jungen Soldaten rief ihre Aufmerksamkeit hervor. Seine unstet hin und her schweifenden Blicke, das nervöse Spiel seiner Hände, und – noch ungewöhnlicher – seine schlaff herabhängenden Schultern vermittelten ihr den Eindruck unendlicher Müdigkeit, was ihr um so mehr auffiel, als es sich doch um einen Mann handelte, dessen Gang kerzengerade und aufrecht hätte sein müssen. Sie hatte in dieser Gegend Polens viele der überaus selbstbewußten, ja oftmals großspurig auftretenden Mitglieder des Schwarzen Ordens gesehen, wie sie zu zweit oder grüppchenweise einherstolzierten wie paradierende {26} Pferde, und selbst wenn ein SS -Mann einmal alleine unterwegs war, nahm er stets eine arrogante, abweisende Haltung ein. Aber nicht dieser Soldat. Er wirkte völlig erschöpft, als seien ihm jede Kraft und Energie verlorengegangen.
    Ein Pfeifen aus der Ferne verkündete den Wartenden, daß der Zug sich näherte. Die junge Frau langte nach ihren vielen Paketen, die sie alle auf ihren Armen zu verstauen versuchte, und Keppler griff rasch nach seinem Koffer.
    Als die Lok sich in den Bahnhof schob und pfeifend anhielt, bemerkte Keppler zu seiner Bestürzung, daß der Zug hoffnungslos überfüllt war, vor allem mit Soldaten der Wehrmacht, die sich auf dem Weg an die Ostfront befanden. Plötzlich stürmten ein paar Soldaten aus dem Bahnhofsgebäude heraus, um zu ihren Kameraden im Zug zu stoßen, und drängten dabei die junge Polin beiseite, so daß ihre Gepäckstücke auf den Boden fielen. Als sie aufschrie, wandte Keppler sich um, und da er sah, wie sie verzweifelt über den Boden kroch und ihre Pakete zusammensuchte, ließ er seinen Koffer los, um ihr zu helfen.
    »Diese Mistkerle!« zischte sie auf polnisch und versuchte, die verstreut umherliegenden Päckchen wieder auf ihren Armen zu verstauen.
    »Die haben Sie eben nicht gesehen«, sagte Keppler ebenfalls auf polnisch und hob ein eingewickeltes Päckchen vom Boden auf. Dabei bemerkte er, wie sich ein Fleck auf dem braunen Packpapier ausbreitete.
    »Natürlich haben sie mich gesehen!« gab sie zurück. »Diese Hunde. Die sind doch alle gleich!«
    Hans hielt das feuchte Paket, bei dessen Geruch er die Nase verzog, auf Armlänge von sich. »Es tut mir leid, aber irgend etwas muß zerbrochen sein.«
    Sie blickte auf das Päckchen und schrie erneut. »O nein! Ein halber Liter! Und es war doch so schwer, daranzukommen! Lassen Sie nur, Sie können nichts tun.«
    Sie richteten sich gleichzeitig wieder auf. Während Keppler schweigend die übrigen Päckchen festhielt, wischte sie ihre Knie ab und brachte ihr Haar wieder in Ordnung.
    »Danke schön«, keuchte sie, völlig außer Atem, und strich sich noch eine Strähne aus dem Gesicht. »Ich hätte bestimmt den Zug verpaßt, {27} wenn Sie mir nicht …« Plötzlich hielt sie inne und starrte auf seine Uniform.
    Keppler entfernte sich rasch und ging zu seinem Koffer zurück, den er mit seiner freien Hand ergriff, und bestieg dann den Zug.
    Bevor er die erste Stufe betrat, hielt er kurz inne und blickte sich um. Die junge Frau war wie angewurzelt stehengeblieben. »Los, kommen Sie!« rief er ihr zu. »Schnell!« Das Pfeifen erklang, und der Zug fuhr ruckend an. Plötzlich stürzte die junge Frau auf Keppler zu, und es gelang ihr trotz der Pakete, die sie auf den Armen trug, auf den anfahrenden Zug zu springen. Gemeinsam schafften sie es gerade noch in den Waggon.
    Um Atem zu holen und sich sicheren Stand zu verschaffen, ließ sich Keppler leicht gegen eine Wand im Zuginnern fallen. Dabei schaute er unentwegt die junge Frau an und dachte: Ich habe dich schon vorher gesehen.
    Auch die junge Frau hatte sich an die Wand gelehnt. Sie erwiderte jedoch seine Blicke nicht, sondern schaute auf die an ihr
     vorbeiziehende Landschaft hinaus.
    Keppler starrte sie immer noch an. Er betrachtete ihr dickes braunes Haar, das in der Mitte gescheitelt war und auf ihre Schultern herabfiel. Er registrierte ihre
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