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Nachts kommen die Fuechse

Nachts kommen die Fuechse

Titel: Nachts kommen die Fuechse
Autoren: Cees Nooteboom
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angingen, genauso langsam. Ich sah dich schlafen. Ich kann nichts dafür, du hast angefangen, du hast mich gerufen. Du schliefst ängstlich, unruhig. Das paßt nicht zu einem Zenkloster, mach dir da bloß nichts vor. Diese Angst kannte ich noch von früher,von den Nächten in der Wüste. Ich weiß noch, was du sagtest. Du wachtest immer um fünf auf. Eines Nachts krochst du hinaus. Als du lange wegbliebst, ging ich nach dir schauen. Es war sehr kalt, ich sah den Atem aus deinem Mund. Da waren ungeheuer viele Sterne, wie man sie bei uns nie erlebt, ein Meer anderer Welten, unendlich weit entfernt, Zeichen, Figuren, Schrift in dieser unglaublichen Stille. Nach einer Weile traute ich mich zu fragen, was los sei, und du sagtest, es gebe in jeder Nacht einen Moment, in dem du nicht mehr leben wolltest. Du hattest es ironisch sagen wollen, aber das gelang dir nicht. Du hattest Angst vor diesem Moment, weil du wußtest, er kam immer wieder. Ich hörte die Angst in deiner Stimme, mich täuschst du nicht. Damals nicht und auch jetzt nicht. Angst im Dunklen. Und dann sagtest du etwas, das ich nie vergessen habe. Nachts kommen die Füchse . Einmal, als du noch ein Kind warst, hatte deine Großmutter das zu dir gesagt, und du hattest es immer behalten. Ich auch. Wir standen da eine ganze Weile, ich wollte noch etwas sagen, wußte aber nicht, was. Füchse. Als du wieder schliefst, sah ich sie, hörte ich sie. Sie schnüffelten, bissen ins Zelttuch, Rascheln, Säuseln, leises Hecheln, Krallen an der Leinwand, Mäuler halb geöffnet, ich konnte ihre scharfen Zähne sehen, diese schlauen, spitzen Gesichter, ihr leichte Form wie ein Schatten gegen das Zelt. Ich hörte sie reden. Glaubst du mir? Wieviele es waren, weiß ich nicht. Danach habe ich sie nie mehr gesehen, aber mir war bewußt, du hattest sie immer bei dir. Wenn man das so hört, einer, der sagt, er wolle nicht mehr leben, dann weiß man hinterher nie, wer er wirklich ist – der Mann, der alle zum Lachen bringt, der Mann, der die unterschiedlichsten Tiere nachmachen kann, der Mann, der einen großen Kartenstapel wie ein Taschenspieler mischt, oder der Mann mit den Füchsen, der einmal am Tag nicht mehr leben will.
    Ich blicke dich an. Niederländisch ist so schön. Von mir wußtet ihr eigentlich nicht viel. Ich sang in einem Chor, das wußtest nicht einmal du. Ja, Alt natürlich. Dunkle Stimmen, die sich in die hohe Gewalt der Soprane weben. Hohe Töne, ja, das ist Gewalt. Kette und Schuß. Mit dir als Sprachverliebtem muß ich darüber doch reden können? Niederländisch war meine Leidenschaft, vielleicht ist das das Schlimmste, Sprache, die verfliegt, wenn man selbst verschwindet. Kette, weißt du, was das bedeutet? Beim Weben geht es immer darum, davon ist immer die Rede. Immerfort, sagt das Große Wörterbuch der Niederländischen Sprache, das weiß ich noch. Immerfort, niemand achtet auf das Verschwinden von Wörtern. Ich habe für kurze Zeit Niederländisch studiert, auch das wußtet ihr nicht. Du kennst doch den Ausdruck: jemanden an die Kette legen? Dieses Gefühl hatte ich bei meiner Stimme, der dunkleKlang, wenn die Soprane gebändigt werden mußten. Es ist nie andersherum. Das Gejubel muß in seine Schranken verwiesen werden. Das war ich. Die tieferen Töne sorgen dafür, daß die Ekstase nicht davonfliegt, nicht im Raum verlorengeht. Komposition, eine Methode, um Hysterie auszutreiben. Ordnung. Gott, was hättet ihr mich ausgelacht, wenn ich damals so etwas gesagt hätte. Aber jetzt kann ich es sagen, das ist der Vorteil der Scharfsinnigkeit – im Wortsinn. Meine Sinne sind geschärft, ein Geschenk des Todes. Ich weiß nicht, ob du meinen hochtrabenden Ton erträgst, ich kann nicht anders. Ihr habt meine Provinz nicht weiter beachtet, jeder hatte genug mit sich zu tun, mit seinem eigenen Bezirk. Oder vielleicht auch nicht. Warum kamt ihr jeden Abend zusammen? Eure Transzendenz war das Lachen, das das Heulen darunter verhüllen sollte, oder etwa nicht? Ich sah alles, das klingt arrogant, aber so ist es. Die Hälfte von euch hatte ich im Bett kennengelernt, Frösche und Pfauen, Beamte und Narren. Eines war euch allen gemeinsam, ihr wolltet das Schicksal herausfordern. Wenn man es schon nicht im wirklichen Leben tut, dann doch wenigstens vor dem Kartenschlitten oder am Spieltisch. Die ewige Gewißheit, daß man wirklich verlieren kann, daß dies die Wahrheit ist, die immer wieder vertuscht wird, weil man dann und wann, dieses eine Mal, gewinnt. Aber ich sah
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