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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Schweigens über diese Hände gebreitet. Sie hatte den Geheimnisschleier geknüpft, der nach den Mythen, in denen sie erzogen war, alles schützte und barg, was mit dem Heiligen Geheimnis in Berührung stand. Der Lehrer hatte seine Überraschung gezeigt. »Originell« – sie hörte seine Stimme noch –, »höchst eigenartig, die Verbindung von zwei ganz verschiedenen Techniken: Öl… und Gewebe.«
    Schleier über die offenen Hände. Tashina wollte ihre Hand offen hinhalten. Aber das sollten nur die sehen, die es verstehen konnten.
    Für das Gemälde mit dem Schild hatte sie so viel Geld erhalten, daß ihr fast schwindelte. So viel Geld auf einmal sahen Vater und Mutter und die Geschwister für ihre harte Arbeit nie. Sie freute sich darauf, ihnen die Hand zu öffnen. Aber das würde nur die einfache Bewegung dieser einfachen Hand sein, die sie zuerst gemalt hatte. Die anderen Hände hatten anderes und noch viel mehr zu geben. Die anderen Hände waren größer. Diese, die das Geld geben konnte, war die kleine.
    Queenie wechselte den Wachtraum und lachte auf einmal vor sich hin. Walt hatte eine Wette verloren. Er war ein hübscher Bursche, eben so frech, daß er reizvoll wirkte, und so schüchtern, daß man ihn liebhaben mußte. Er konnte Spaß machen, und er konnte sentimental sein, je nachdem ein Mädchen sich das wünschte. Viele Mädchen hatten sich an ihn geschmiegt und sich von ihm umarmen lassen; er war auch ein gewandter Tänzer. Mit großer Liebe und allen Wirrnissen, die dadurch entstehen konnten, hatte er nie etwas zu tun gehabt. Am hübschesten sah er aus, wenn er twistete oder wenn er mit ernster Miene, die Zungenspitze ein wenig aus den Lippen hervorgedrängt, vor dem Bild stand, das nie der ganz große Wurf werden wollte… Walt hatte gewettet, daß er Queenie werde in die Arme schließen können. Sie hatte das nicht gewußt. Queenie war unbefangen gewesen. Walt holte sie zum Tanz, Walt plauderte mit ihr, Walt machte sie heimwehkrank und wieder fröhlich. Auf einmal waren sie allein im Garten. Der Wind rauschte noch nicht in den Bäumen, die Wagen parkten noch, aus dem Saal klang Musik, alte indianische Musik mit neuen Instrumenten. Walt wollte Queenie an sich ziehen… Sie packte sein Kinn und stieß ihn mit gestrecktem Arm zurück, mit einem so kräftigen Schwung, wie es der Tochter eines Ranchers zukam. Walt wirkte komisch mit dem nach hinten gebogenen Kopf. Queenie hatte lachen müssen. Ella, Queenies Freundin, und zwei Schüler, die an der großen Glastür des Gebäudes standen, hatten mitgelacht. Walt war abgezogen.
    Ella war zu Queenie herbeigekommen und hatte ihr die Sache mit der Wette gestanden.
    »Du bist merkwürdig«, hatte Ella dann wie nebenbei gesagt. »Ich habe gewußt, daß du dich nicht umarmen läßt. Warum eigentlich nicht?«
    Queenie hatte nicht geantwortet. Sie war nur vom Lachen zum Lächeln übergegangen. Jetzt, im Wachtraum, erlebte sie das Ganze noch einmal. Sie spürte noch einmal das Vergnügen, mit dem sie Walt den Kopf zurückgebogen hatte, so daß er komisch aussah.
    Queenie streckte sich. Sie wußte, daß sie einen ebenmäßigen Körper hatte, glatte, weiche Glieder und eine Haut, so braun wie die Nuß, wenn sie eben reif wird. Sie hatte die schwarzglänzenden Haare nicht gelockt, und sie legte kein Rouge auf die Lippen. Aber sie hatte sich einen rohseidenen japanischen Schlafanzug gekauft, weil sie schön sein wollte, schön wie der Teufel, wenn er achtzehn wird.
    Ella wurde jetzt auch wach. Die beiden Mädchen bewohnten zusammen ein Zimmer. Sie schliefen auf weichen Betten unter leichten Decken, der Boden war mit einem hellen Teppich belegt, die Wände mit einer stillen, schweigsamen Farbe abgeschattet, auf der die Bilder sprechen konnten. Durch die Fenster und die durchlässigen Gardinen drang der erste Morgenschimmer. Ella betrachtete ihre Freundin Queenie lange und eindringlich, und Queenie hielt den Blick mit freundlicher Miene aus, denn sie war von einer allgemeinen, unbestimmten wohltuenden Erwartung erfüllt. Heute war der erste Ferienmorgen… heute durfte sie packen… heute würde sie beginnen, nach Hause zu fahren, den weiten Weg aus dem Süden in die nördliche Prärie… fort von den spanischen Häusern mit den flachen Dächern und den dünstenden bunten Gärten, hin zu den Holzhütten und graugrüner endloser Weite.
    Ella vermochte die Natur dieser Freude nicht ganz zu verstehen. Ella war im Süden daheim, und ihr Elternhaus war ein Lehmbau auf den
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