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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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beiden anderen zusammen den Weg in den Vorgarten zu der Bank, die hier aufgestellt war. Er verabschiedete sich und ließ sich im Schatten eines Baumes nieder. Der indianische Gärtnerbursche hatte den Rasen gesprengt. Für die Agenturstraße gab es aus Tiefbrunnen noch immer Wasser, obgleich das Land unter dem blauen Himmel wie in einer Bleikammer ausdörrte. Der Gärtnerbursche hatte auch Mittagspause machen wollen, doch als er sah, wie der Blinde sich niederließ, fing er an, Unkraut zu jäten. Ed Crazy Eagle kaute an einem Stück trockenen Brots, das war sein liebstes Lunch. In der Baumkrone über der Bank putzte ein Vogel seine Federn.
    Der junge Bursche stand neben einem Häufchen Unkraut.
    »Was gibt es denn Neues?« fragte ihn Crazy Eagle.
    »Ni-ichts.«
    Es gab also etwas. Natürlich gab es etwas. Der Bursche hatte Joe King gesehen. Vielleicht beneidete er ihn um das weiße Hemd und den schwarzen Cowboyhut, vielleicht auch darum, daß er die richtige Figur für Jeans hatte. Der Gärtner war kleiner, unscheinbar und fleißig. Ed wußte das.
    »Wann wird geheiratet?« fragte er ihn.
    »Der Vater sagt nicht ja. Er meint, ich sei viel zu jung, mit der Schule nicht fertig, mit der Lehre nicht fertig, und Laura habe bessere Aussichten. Seit dem sie hier Sekretärin geworden ist.«
    »Was sagt sie denn selbst?«
    »Wie die Mädchen eben sind.«
    »Geht ihr morgen tanzen?«
    »Sie will twisten, aber ich mag das nicht. Morgen gehe ich sowieso nicht…«
    »Warum nicht?«
    »Joe King ist wieder da.«
    »Dann gibt es Streit?«
    »Das ist sicher.«
    »Seid ihr nicht Manns genug, wenn ihr euch zu fünf oder zu zehn gegen ihn zusammentut?«
    »Er hat auch seine Freunde. Und mit fünf nimmt er es allein auf. Er schämt sich auch nicht, das Messer zu ziehen.«
    Der Vogel in der Baumkrone hielt seine Mittagsruhe. Die Straße lag leer. Nur die parkenden Autos erinnerten daran, daß in den Häusern Menschen wohnten.
    »War Stonehorn mit dem Wagen hier?«
    »Er kam zu Fuß. Wie er den Weg von New City hierher gemacht hat, wer will das wissen? Wenn er einen Wagen oder ein Pferd hat, wird er es uns nicht zeigen.«
    »Warum nicht?«
    »Weil er vielleicht nicht mehr gefunden werden will… morgen oder übermorgen.«
    »Warum nicht?«
    »Fragt Harold Booth, Mister Crazy Eagle. Der kann Euch sagen… wovor er Angst hat.«
    Auf der Straße rührte es sich. Die Beamten kamen zu ihren Wagen, um von ihren Privathäusern einige Meter zurück zu den Büros zu fahren. Manche Wagen wechselten nur die Straßenseite.
    Der Gärtnerlehrling schaute zu und verbarg seine Gedanken.
    Für den Freitagnachmittag waren keine Gerichtstermine mehr angesetzt, aber Ed wollte sich für die Verhandlungen in der nächsten Woche schon vorbereiten. Mit der vorsichtigen, tastenden Gangart des Blinden machte er sich auf den Weg zu dem kleinen Gerichtshaus.
    Haverman lief ihm nach.
    »Darf ich Sie fahren, Mister Crazy Eagle? Haben Sie Ihren Wagen nicht da?«
    »Danke, der Wagen ist da, aber ich laufe die paar Schritte. – «
    Haverman schüttelte den Kopf und begab sich in sein Dienstzimmer.
    In der schmalen Kammer, die sich Crazy Eagle selbst als Arbeitsraum ausgewählt hatte, fand er Runzelmann und, wie er dem Geräusch des Aufstehens von einem Stuhl entnahm, noch einen zweiten Besucher.
    »Harold Booth«, stellte sich dieser vor.
    »Ah, gut.«
    Der Blinde setzte sich. Harold wollte nicht wieder Platz nehmen.
    »Was gibt’s?«
    »Nichts von Belang.«
    Harold war ein Meter fünfundachtzig groß. Er hatte nicht nur eine breitschultrige Figur, sondern auch eine dementsprechende Stimme. Der Blinde konnte sich leicht ein Bild von ihm machen. Er roch nach Pferden und Rindvieh und nach Leder.
    »Aber es gibt etwas, weswegen du zu mir kommst.«
    »Ja.« Das Ja klang verlegen. Harold knautschte den Cowboyhut in der Hand. »Vielleicht haben sie Euch nicht damit belästigt, Chief Crazy Eagle, aber wenn…«
    »… dann…?«
    »Ich habe keine Angst. Das ist dummes Geschwätz.«
    »Wovor sollte auch ein Bursche wie du Angst haben!?«
    »Eben.« Harold atmete auf. »Mir kann das egal sein, wer sich auf der Reservation herumtreibt. Ich möchte nur nicht, daß er Queenie belästigt. Dann schlage ich zu.«
    »Queenie? Die Queen unter euren Teenagern?«
    Harold lachte kurz, freundlich, aufgeschlossen. »So ist’s.«
    Der Blinde hörte, daß Harold an seiner Lederweste knöpfte, aufknöpfte, zuknöpfte, aufknöpfte, tastete. Er konnte nicht sehen, daß Harold in einem Anhänger
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