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Nacht der Leidenschaft

Nacht der Leidenschaft

Titel: Nacht der Leidenschaft
Autoren: Lisa Kleypas
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eher bescheiden, und das auch nur dann, wenn man das gegenwärtige Ideal einer Frau nicht in Betracht zog. Sie war klein. Wohlmeinende würden sie als vollschlank bezeichnen, in den Augen anderer war sie plump. Ihr Haar war rötlich braun, ein wildes Durcheinander von Locken – gehassten Locken, die sich sämtlichen Geräten und Mitteln widersetzten, es zu bändigen. Oh, sie hatte eine schöne Haut, ohne Pockennarben und Flecken, und ihre Augen wären einmal von einem guten Freund der Familie als ‚nett‘ beschrieben worden. Aber in Wirklichkeit waren sie unauffällig grau, ohne einen Stich Grün oder Blau, der sie belebte.
    Da es ihr an äußerer Schönheit mangelte, hatte Amanda beschlossen, stattdessen ihren Geist und ihre Fantasie zu mehren, was, wie ihre Mutter ahnungsvoll vorausgesagt hatte, ihr Schicksal endgültig besiegeln würde.
    Die Männer wollten keine Frau mit einem ausgebildeten, klaren Verstand. Sie wollten eine schöne Frau, die ihre Ausführungen bestätigte und ihnen keinesfalls widersprach. Zudem hatte eine Frau mit einer blühenden Fantasie keinen Platz in ihrem Leben. Eine Frau, die tagsüber von den Figuren ihrer Romane träumte? Auf keinen Fall.
    Daher hatten die beiden älteren und hübscheren Schwestern Amandas sich einen Ehemann ergattert und Amanda hatte sich auf das Schreiben verlegt.
    Ihr ungebetener Gast starrte sie weiterhin aus tiefblauen Augen an. „Ich verstehe nicht, wieso eine Frau mit Ihrem Aussehen es nötig hat, sich einen Mann fürs Bett zu bestellen.“
    Diese unverblümte Bemerkung kränkte sie. Und doch … empfand sie es als aufregend, ein solch unerwartetes Gespräch mit einem Mann zu führen und die üblichen gesellschaftlichen Grenzen zu überschreiten.
    „Zuallererst“, erwiderte Amanda schroff, „besteht kein Grund, mir mit der Andeutung zu schmeicheln, ich sei Helena von Troja, wenn es offensichtlich ist, dass ich keine Schönheit bin.“
    Das brachte ihr einen weiteren überraschten Blick ein, der eine Ewigkeit auf ihr zu ruhen schien. „Aber das sind Sie“, meinte er leise.
    Amanda schüttelte energisch den Kopf. „Entweder halten Sie mich für eine Närrin, die leicht auf Schmeicheleien hereinfällt, oder Sie haben Ihren Maßstab sehr niedrig angesetzt. So oder so, Sir, Sie irren sich.“
    Ein Mundwinkel bewegte sich schmunzelnd nach oben. „Widersprüche scheinen Sie nicht zu dulden. Beharren Sie immer so felsenfest auf Ihrer Meinung?“
    Sie lächelte verstohlen. „Leider. Ja.“
    „Wieso ‚leider‘, wenn man sich von seiner Meinung nicht abbringen lässt?“
    „Bei Männern gilt es als bewundernswerte Eigenschaft! Bei Frauen wird dies als Makel gewertet.“
    „Nicht von mir.“ Er trank einen Schluck Wein, lehnte sich bequem in seinem Sessel zurück und ließ sie nicht aus den Augen, als er seine langen Beine ausstreckte. Amanda gefiel nicht, wie er sich für eine anscheinend längere Unterhaltung zurechtsetzte. Ich werde nicht zulassen, dass Sie meiner Frage ausweichen, Amanda. Erklären Sie mir, warum Sie einen Mann für diesen Abend bestellt haben.“ Die lebhaften Augen ermunterten sie, mit der Wahrheit herauszurücken.
    Sie bemerkte, dass sie den Stil des Weinglases krampfhaft umklammerte, und lockerte den Griff sofort. „Heute ist mein Geburtstag.“
    „Heute?” Er lachte leise. „Herzlichen Glückwunsch.“
    „Danke. Würden Sie jetzt bitte gehen?“
    „Oh, nein! Nicht, wenn ich Ihr Geburtstagsgeschenk bin. Ich werde Ihnen Gesellschaft leisten. An diesem besonderen Abend werden Sie doch nicht allein bleiben wollen! Lassen Sie mich raten … Heute ist Ihr dreißigster Geburtstag.“
    „Woher wussten Sie das?“
    „Weil Frauen an ihrem dreißigsten Geburtstag immer sonderbar reagieren. Ich kannte einmal ein Frau, die an diesem Tag sämtliche Spiegel mit schwarzen Tüchern verhüllte, wie bei einem Todesfall.“
    „Sie trauerte um ihre verlorene Jugend“, erklärte Amanda kurz und trank mehrere Schluck Wein, bis sie eine wohlige Wärme in der Brustgegend spürte. „Sie musste sich mit der Tatsache abfinden, eine Frau mittleren Alters geworden zu sein.“
    „Das sind Sie nicht. Sie sind reif. Reif wie ein Pfirsich aus dem Gewächshaus.“
    „Unsinn“, murmelte sie und ärgerte sich, dass sein Kompliment, so hohl es auch war, ihr insgeheim Freude gemacht hatte. Vielleicht war es der Wein – oder der Gedanke, dass er ein Fremder war, dem sie nach diesem Abend nie wieder begegnen würde. Jedenfalls fühlte sie sich
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