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Nach der Hölle links (German Edition)

Nach der Hölle links (German Edition)

Titel: Nach der Hölle links (German Edition)
Autoren: Raik Thorstad
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Rinnstein sprang, dachte er an frühere, dunklere Zeiten und war für ein paar Sekunden zufrieden mit sich. Ein wenig Freiheit hatte er sich erkauft, aber der Preis …
    Der Gedanke wich aus seinem Kopf, als er in der Ferne das grellgelbe Schild des Supermarkts auftauchen sah. Augenblicklich sackten seine Schultern in sich zusammen. Bis jetzt hatte er erfolgreich verdrängt, dass er noch einkaufen musste. Seit zwei Tagen schob er es vor sich her, und mittlerweile bevölkerten nur noch ein Glas Senf und zwei Flaschen Wasser seinen Kühlschrank.
    Unfair, jammerte es in ihm. Du hast genug geleistet. Warum kannst du dir nicht an jedem Tag des Wochenendes Pizza kommen lassen?
    Weil er dann das Einkaufen vermieden hätte. Darum ging es in seiner ganzen Existenz: Vermeidung und die Entkräftung aller einschränkenden Automatismen. Natürlich konnte er überleben, indem er sich von Lieferdiensten versorgen ließ. Arbeiten musste er nicht, denn gewisse Absprachen mit seinen Eltern sicherten ihn finanziell ab. Aber man hatte ihm nachdrücklich bewusst gemacht, dass er etwas tun musste, um eines Tages frei zu sein. Dazu gehörte, dass er sich nicht zurückzog, sondern vorwärts ging – nicht rückwärts in die Isolation. Er tat sich keinen Gefallen, wenn er schummelte und sich selbst betrog.
    »Nur das Nötigste«, sagte Andreas halblaut. Essen und Getränke für drei Tage. Besser für vier, damit er Montag nicht gleich wieder einkaufen musste.
    Vielleicht sollte er heute gar nichts essen und bis morgen warten? Oder später in den Laden gehen?
    Aber er kannte sich. Wenn er Freitag mittags in seiner Wohnung angekommen war und es sich gemütlich gemacht hatte, würden ihn keine zehn Pferde mehr aus dem Haus bringen.
    Supermärkte waren und blieben ein rotes Tuch für Andreas. Das Einkaufen war weniger problematisch als das Anstehen an der Kasse hinterher. Es widerte ihn an, von vorn und hinten eingekesselt zu sein, sodass er nicht fliehen konnte. Je länger die Schlange, desto größer die Tortur.
    In dem Gefühl, dass ihm nur sehr wenig von seiner Energie geblieben war, schlurfte Andreas auf den Supermarkt zu. Er hasste die langen Reihen von Einkaufswagen, die wie Kettenhunde darauf warteten, ihm in die Waden zu beißen.
    Eintreten, einen Wagen mitnehmen, sich durch die Sicherheitstüren schieben. Mittlerweile vertraut und doch fremd und unangenehm. Andreas wollte nach Hause. Die langen Reihen mit Lebensmitteln verlockten ihn nicht. Doch die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass er nach einer harten Woche spätestens am Samstag Heißhunger bekam. Sein Körper gierte nach der Kraft, die ihm abhandengekommen war. Angst haben war anstrengend. Und es half, sich mit leckeren Sachen vollzustopfen und zu wissen, dass man das Sofa fürs Erste nicht verlassen musste.
    Andreas achtete streng darauf, jeden einzelnen Gang abzuschreiten. Wahllos warf er Verpackungen in den Einkaufswagen. Alles, was interessant und nach Nahrung aussah, sammelte er ein, bis er die Grenze dessen, was er tragen konnte, erreicht hatte. Von einem System konnte keine Rede sein. Er baute dennoch darauf, dass er es dieses Mal schaffte, ausschließlich für den menschlichen Verzehr geeignete Waren heimzutragen. Mehr als einmal war es ihm in der Vergangenheit gelungen, blindlings eine Dose mit Katzenfutter einzupacken. Das Tierheim hatte sich gefreut. Was er mit den gefrorenen Tintenfischringen anfangen sollte, die seit zwei Jahren in seinem Eisfach lagen, wusste er hingegen nicht.
    Die Menschenschlange an der Kasse dünnte aus, während Andreas ein paar Wasserflaschen einpackte. Dankbar machte er sich auf den Weg und schielte nervös nach hinten, ob sich jemand näherte, der ihm den Platz streitig machen wollte. Seine Finger zitterten, als er die Waren auf das Fließband räumte. Er bückte sich nach den Plastiktüten und bereute es, als sein Magen sich zusammenkrampfte.
    Für eine Sekunde war er überzeugt, dass er sich im nächsten Augenblick erbrechen würde; mitten zwischen die Kassen. Automatisch irrte sein Blick zu den Schiebetüren. Der Zeitraum zwischen dem Jetzt und dem Verlassen des Ladens schien elendig lang. Aber er hatte es fast hinter sich und würde jetzt nicht aufgeben. Er wollte es schaffen.
    Wie altes Kaugummi bewegte sich das Fließband vorwärts, die Verkäuferin erwies sich als Schnecke und überhaupt kam es Andreas vor, als hätte sich die ganze Welt gegen ihn verschworen. Seine Züge waren wie versteinert, als seine Einkäufe endlich über den
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