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Nach dem Bankett.

Nach dem Bankett.

Titel: Nach dem Bankett.
Autoren: Yukio Mishima
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Vogelperspektive betrachte. Weit unten sah sie zwei kleine Gestalten, ein altes Ehepaar, auf dem herbstlichen Uferdamm entlangschreiten. Noguchis weiße Haare glänzten, die Korallenkugeln an Kazus Haarnadeln funkelten, und hin und wieder blitzte die Spitze von Noguchis Stock kurz auf, wenn er ihn herumwirbelte. Die Gefühle der beiden alten Leute waren abgeklärt: sie waren erfüllt von Schwermut und menschlicher Einsamkeit. Hier hatte nichts Fremdes Zugang.
       Es war für Kazu eine Art Abwehr, die Situation so distanziert zu betrachten. Täte sie das nicht, dann wurde ihr Dasein zu einer scharfen Klinge, die sowohl ihren Mann als auch sie selber verletzte. Sie mußte das rührende Bild eines alten Ehepaars, das in wehmütiger Stimmung einen Spaziergang macht, mit großem Abstand betrachten, denn sonst verwandelte es sich plötzlich in ein Bild von solcher Häßlichkeit, daß man sich abwenden mußte.
       Noguchi genoß ofensichtlich jeden Schritt dieses Spazierganges in der reinen, klaren Luft. Seine Freude drückte sich in seinem ganzen Gebaren aus – in der Art, wie er manchmal stehenblieb und zum Himmel hochblickte, in seinem Gang, im fröhlichen Herumwirbeln seines Stockes. Aber Kazu bemerkte, daß sein Behagen etwas Eigensinniges und Gekünsteltes hatte. Ihre Gegenwart schien für Noguchi entbehrlich. Während sie hinter ihm herging, dachte sie: ›Ich muß ihm wenigstens so viel Sympathie entgegenbringen, wie ein Mensch, der einen füchtigen Blick auf das Bild eines Malers wirft.‹ Im Augenblick hatte sie kein Recht, ihn zu stören; sie durfte ihn auch nicht belästigen.
       Deshalb übertrug sie ihre Sympathie auf jeden Augenblick dieses frühherbstlichen, sonnigen Nachmittags. Auch Noguchi schien zu ahnen, daß sein Gemüt nie wieder so aufgeschlossen und geläutert sein würde wie jetzt; und Kazu konnte verstehen, daß er sich diese Reinheit der Stimmung um jeden Preis zu bewahren suchte. Kazu wollte nichts zerstören, und sie konnte nicht einmal leugnen, daß über jedem dieser Augenblicke so etwas wie Glück schwebte – auch wenn es unecht war.
       Die Strahlen der Sonne felen schräg auf den hohen Zedernhain links neben dem Weg und warfen einen geheimnisvollen, goldenen Schleier zwischen die Stämme. Als ein Lastwagen vorbeifuhr und Staub aufwirbelte, vermischten sich die Staubwolken mit dem goldenen Schleier zwischen den Zedern und verwandelten sich ebenfalls in Gold.
       Sie gingen weiter und sahen die Sonne in wunderbarer Schönheit vor sich am Horizont untergehen. Leuchtend glühten die Abendwolken, und mitten im lodernden Himmel war eine Wolke zu sehen, in der sich die Nacht andeutete Kazu meinte, in dem dunklen grauen Fleck die Umrisse eines Grabsteins zu erkennen – des Grabsteins von Noguchis Familie.
       Seltsamerweise löste diese Vision, die sie sonst stets in Erregung versetzt hatte keinerlei Gemütsbewegung in ihr aus. Sie empfand dumpf, daß dies ihr Grab sei es ließ sie aber ungerührt, daß dieses Grab in weiter Ferne lag und unsicher hin und her schwankte, sich zur Seite neigte, einstürzte, zerstob . . . Das Leuchten de Abendwolken ringsum verwandelte sich jäh in aschiges Grau.

Nach dem Bankett

    Im Oktober erhielt Noguchi von den alten Freunden, mit denen er beim Quellenfest in Nara war, eine Einladung zum Abendessen. Kazu war nicht mit eingeladen.
       Man traf sich in dem großen Zimmer eines Teehauses im Yanagibashi-Distrikt am Sumida-Fluß. Ofensichtlich hatte die Zeitung wieder die Kosten für die Einladung übernommen. Der achtzigjährige Journalist saß, wie gewöhnlich, auf dem Ehrenplatz, Noguchi, der Direktor der Zeitung und der Wirtschaftsexperte saßen um ihn herum.
       Mit scherzhaftem Plaudern unterhielt die etwas füllige Inhaberin des Restaurants ihre Gäste. Sie war eine äußerst kluge Frau, die ihre Korpulenz und ihre Heiterkeit dazu ausnutzte, sich als unwissendes, sorgloses Wesen zu geben. Als von Hollywood die Rede war, fragte sie: »Hollywood? Liegt das nicht in der Nähe von Paris?«
       Eine schon etwas betagte Geisha fragte die Herren: »Kennen Sie die Geschichte von Madames Brotmahlzeiten?«
       Die Wirtin bemerkte ruhig, diese Geschichte sei völlig uninteressant.
       Trotzdem begann die Geisha zu erzählen: »Madame wollte etwas dünner werden und suchte daher einen Arzt auf. Der meinte, sie solle dreimal am Tag etwas Brot essen. Madame überlegte eine Weile und fragte den Arzt dann: ›Herr Doktor, soll ich das Brot
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