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Mythos Ueberfremdung

Mythos Ueberfremdung

Titel: Mythos Ueberfremdung
Autoren: Doug Sounders
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amerikanischen Einwanderern nicht trauen könne.
    Muslime in arabischen Staaten stimmen gegenwärtig für konservative Parteien. Aber sie votieren auch für die Geburtenkontrolle, wollen dem festen Griff der Großfamilie entgehen, ihren Töchtern eine Schulbildung geben, liberale Formen von Kultur und Kommunikation erproben, und sie bestehen auf Wahlen. Das sind die wichtigen Veränderungen. Konservative Parteien sind nur ein Symptom.
    »Nur zu gerne vergessen die Bürger des Westens, dass der demografische Wandel auch in ihrer Region von zahlreichen Unruhen und Gewaltausbrüchen begleitet wurde«, heißt es bei Courbage und Todd. »Die Zuckungen, die wir heute in der muslimischen Welt erleben, sind keineswegs Ausdruck einer radikalen Andersartigkeit. Sie sind vielmehr die klassischen Symptome der Desorientierung, die jeden Umbruch kennzeichnet. […] Aber nach dem historischen Gesetz, nach dem einem Geburtenrückgang eine religiöse Krise vorangeht, sieht es eher so aus, als stelle der Islamismus eine augenblick liche Bewegung und keineswegs das Ende der Geschichte dar. Vielmehr zeichnet sich für die Zeit nach ihm mit hoher Wahrscheinlichkeit eine entislamisierte muslimische Welt ab, welche die gleiche Entwicklung durchlaufen hat wie einst das christliche Abendland und der buddhistische Ferne Osten. Der Fundamentalismus ist nur ein vorübergehender Aspekt eines in Bedrängnis geratenen Glaubens, der seine Verfechter auf den Plan ruft.« 4
    Die Kulturen der mehrheitlich muslimischen Länder im Nahen und Mittleren Osten wandeln sich heute rasch, nachdem sie über Generationen hinweg in wirtschaftlicher Stagnation und autoritären politischen Verhältnissen gefangen waren. Sie werden von einer Modernisierungswelle angetrieben, die lange hinausgezögert wurde, aber letztlich nicht zu verhindern war. Die unmittelbaren politischen Ergebnisse dieses kulturellen Wandels werden nicht unbedingt vorteilhaft oder stabil sein; sie können auch eine defensive Politik in der Frage der Identität hervorbringen, die viele Jahre anhalten könnte. Aber sie zeigen uns, dass diese Gesellschaften keine Orte sind, an denen sich niemals etwas ändert und das Verhalten und die Lebenspraxis der Menschen von uralten religiösen Traditionen gelenkt werden. Sie sind in Bewegung. Ihre Geschicke werden jetzt nicht mehr von Diktatoren, sondern von den konkurrierenden Entscheidungen von 100 Millionen Individuen bestimmt. Und wenn sich die Kulturen dieser Heimatländer so dramatisch und so beständig ändern können, sind auch die Einwanderer, die sie hervorbringen, keine Gefangenen einer unveränderlichen Kultur.

IV Dem Kulturgefängnis entkommen
    M ultikulturalismus ist ein Wort, das in der Auseinandersetzung über muslimische Einwanderer oft auftaucht. Anders Behring Breivik erklärte, er befinde sich im Krieg gegen den Multikulturalismus. Während seines Prozesses im April 2012 in Oslo sagte er, die Kinder und Teenager, die er getötet habe, seien »legitime Ziele« gewesen, denn sie waren »politische Aktivisten, die sich dafür entschieden haben, für den Multi kulturalismus zu kämpfen«. Angela Merkel erklärte den Multi kulturalismus zum wahren Problem. Deutschland sei es in 40 Jahren nicht gelungen, seine ethnischen Türken einzubürgern, und das zeige, dass der »Multikulti-Ansatz« und die Vorstellung vom »Seite-an-Seite-Leben« »gescheitert, absolut gescheitert« seien, sagte sie im Oktober 2010. Auch der britische Premierminister David Cameron erklärte 2011 den Multikulturalismus für gescheitert: »Unter der Doktrin des staatlichen Multikulturalismus haben wir verschiedene Kulturen ermutigt, ihr eigenes Leben zu leben, getrennt voneinander und auch getrennt vom Mainstream. Es ist uns nicht gelungen, eine Vorstellung von einer Gesellschaft anzubieten, der sie sich zugehörig fühlen wollen. Wir haben sogar toleriert, dass diese segregierten Gemeinschaften sich auf eine Art und Weise verhielten, die unseren Werten vollständig zuwiderläuft.«
    Angesichts dieser vernichtenden Kritik könnte man meinen, der Multikulturalismus – was immer damit genau ge meint ist – müsse etwas sein, was von muslimischen Einwanderern und ihren Unterstützern angestrebt und von den Gesellschaften, in denen sie leben, abgelehnt wurde. Doch das Konzept des Multikulturalismus, wenn man es als Förderung oder Befürwortung paralleler, genau bestimmbarer und unveränderlicher Kulturen innerhalb einer Nation versteht, ist nur in zwei oder drei Ländern
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