Mythor - 042 - Schattenjagd
das Ende der Leiter und drangen in das einzelne Gebäude ein. Mythor warf einen letzten Blick in die Tiefe. Der Aufruhr der Vogelreiter hatte sich gelegt, sie mussten einsehen, dass es in Lo-Nunga keine Ungläubigen mehr gab, die sie bekehren konnten. Von Sadagar war nichts zu sehen.
»Der Deddeth wird kommen, und wir werden ihn empfangen«, kündigte No-Ango an. »Es wird sich nicht vermeiden lassen, dass wir deinen Freund töten, wenn mein Plan nicht klappt. Sieh her!«
Mythor blickte sich in dem Raum staunend um. Er war völlig leer bis auf einen großen Metallspiegel an der einen Wand. Davor stand eine Öllampe.
»Dies ist die Stätte der Reinigung«, erläuterte No-Ango. »Wir suchen sie auf, wenn wir Zweifel oder Ängste in uns spüren oder uns von den Mächten des Bösen bedroht fühlen. Wir laden dann alles in die Welt des Spiegels ab, wo es für immer verbannt bleibt. Dasselbe sollst du mit dem Deddeth tun. Ich werde im Hintergrund wachen und versuchen, mein Volk anzurufen.«
»Dein Volk anrufen?« fragte Mythor ungläubig.
»Ich weiß, du glaubst nicht, dass es zu einem Deddeth geworden ist«, sagte No-Ango. »Aber ich weiß es, und ich werde es dir beweisen.«
Mythor setzte sich vor den großen Metallspiegel, der über die ganze Höhe der Wand ging.
»Vertiefe dich in dein Bildnis. Dringe ganz tief ein und versuche, dein Ich in diesen magischen Spiegel zu versetzen…«, drang No-Angos Stimme wie aus weiter Ferne zu ihm. Dann herrschte Stille.
Mythor betrachtete sein Spiegelbild, nahm es ganz genau in sich auf und glaubte, darin zu versinken. Auf einmal war ihm, als sehe er sich aus dem Spiegel heraus an. Und dann war er verschwunden – vor ihm war Fronjas Gesicht in einem leeren Raum. Sie schwebte über der Flamme der Öllampe. In einem Winkel kauerte No-Ango. Seine Augen waren geschlossen, er schien zu schlafen.
Mythor stand immer noch im Spiegel, als die Tür aufging und Sadagar eintrat. Er brachte eine Woge des Hasses und des Bösen mit sich, tiefste Schwärze, die das Öllicht ausblies.
Ein Sturm erfasste Mythor und zerrte an ihm. Er wankte, aber er fiel nicht. Er fühlte sich stark, unglaublich stark, und er war in der Welt des Spiegels verwurzelt wie ein Baum.
Sadagar wurde erschüttert, als schlage ein Blitz in ihn ein. Er war auch ein Baum, aber er wurde gefällt. Doch der Blitz schlug nicht in ihn, sondern aus ihm. Ein schwarzer Blitz, der die Luft durchteilte – und aus ihm trat eine schaurige Gestalt, die nur aus Schwärze bestand: der Deddeth!
Er kam näher. Der Sturm begann stärker an Mythor zu zerren. Er brachte eisige Kälte mit sich und ließ alles zur Bewegungslosigkeit erstarren. Selbst Fronjas Bildnis, das immer noch im Raum zwischen Mythor und dem drohenden Schatten schwebte, wurde zu Eis.
Der Deddeth blähte sich auf, bis er den ganzen Raum ausfüllte und alles zu verschlingen drohte: Mythor mitsamt dem Spiegel, Fronja, No-Ango, den Rafher-Deddeth…
Auf einmal kam ein frischer Wind auf. Er blies Mythor in den Rücken und erschütterte ihn. Mythor fiel nach vorne und versuchte, sich an der Innenseite der Spiegelfläche abzustützen. Aber er glitt durch sie hindurch und fiel in den Raum hinein.
Sofort war der Schatten über ihm und krallte sich in seiner Brust fest.
Ein furchtbarer Schrei durchbrach die Stille, und als habe dieser Schrei ein Loch in die Mauer des Schweigens gerissen, folgte ein Schwall von Geräuschen, die den Schrei übertönten.
Ein Licht glomm auf und barst in einem hellen Blitz, der die Schwärze zerriss. Das Böse wurde hinweggefegt und verschwand in irgendwelchen unergründlichen Tiefen. Etwas platzte, ein Riss tat sich auf. Ein Knall, als werde die Welt in Stücke gerissen, erschütterte den Raum, ebbte langsam ab, und das Geräusch verlor sich in der Ferne.
Mythor schrie noch immer und versuchte, sich das schmerzhafte Brennen aus der Brust zu reißen. Es gelang ihm irgendwie, aber der Schmerz blieb. Er hatte das Gefühl, mit glühenden Zangen gepeinigt zu werden. Aber als er danach schlug, fuhren seine Hände ins Leere.
»Mythor! Mythor! Es ist vorbei. Du hast gewonnen. Der Deddeth ist besiegt.«
No-Angos Stimme klang von ferne an sein Gehör und kam in dem Maß näher, wie Mythor in seine Welt zurückfand. Seine Brust schmerzte immer noch, aber das rasende Feuer war erloschen und in ein beständiges Pochen übergegangen.
»Was ist mit deiner Brust passiert?« rief No-Ango entsetzt.
Mythor blickte an sich hinunter und sah, dass seine
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