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Muttergefuehle

Muttergefuehle

Titel: Muttergefuehle
Autoren: Rike Drust
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überhaupt nicht zurecht. Ich fühlte mich schrecklich. Scheinbar alle machten mit ihrem normalen Leben weiter, insbesondere mein Mann, der wieder arbeiten ging, während ich Leibeigene eines Neugeborenen geworden war, das mich für meinen aufopfernden Einsatz nicht lobte, sondern hauptsächlich anschrie. Ich schob mein Kind Runde um Runde durch den Park, und wenn ich das Gebrüll nicht mehr aushalten konnte, steckte ich mir Kopfhörer in die Ohren, hörte laut Musik und weinte. Weil ich dachte, dass mein Leben vorbei ist. Weil ich dachte, etwas stimmt mit mir nicht. Ich musste ihn doch lieben, so richtig, so, dass ich dafür sterben würde. So, wie ich es überall gelesen und gehört hatte. Stattdessen wusste ich nur selten, was er gerade wollte, und er dachte garantiert die ganze Zeit genervt: »Warum macht die hysterische Frau eigentlich immer alles falsch?« Obwohl ich noch nie so eng mit jemandem zusammen war, habe ich mich noch nie so einsam gefühlt. Und ich habe auch noch nie so viel Fernsehen geguckt. Ohne diese Berieselung kam ich mir allein mit dem Kind in der Wohnung vor wie unter einer Käseglocke, der Fernseher war meine Verbindung zur Außenwelt, zum normalen Leben.
    Mein großes Glück war eine Freundin, die nur zwei Wochen vor mir ein Kind bekommen hatte. Wir trafen uns oft, vor allem wenn es einer von uns schlecht ging. Wir tranken Hektoliter koffeinfreien Milchkaffee, während wir unsere Kinder durch die Gegend schoben und uns ehrlich und schonungslos austauschten über alles, was für uns neu und wichtig war. Für ihre Offenheit, ihre Unterstützung und unsere hysterischen Lachanfälle werde ich ihr auf ewig dankbar sein.
    Mein allergrößtes Glück war mein Mann. Er hat sich mein Gejammer, meine Angst und meinen Frust immer angehört, auch wenn vor lauter Geheule nichts zu verstehen war, und er hat mich in den unmöglichsten Situationen zum Lachen gebracht. Das Lachen und die Ehrlichkeit, mit der der Mann, meine Freundinnen und ich miteinander umgegangen sind, haben mich von dem Druck, dem Bild der beseelten Mutter entsprechen zu müssen, befreit. Ich habe mich entspannt – und siehe da: Es war zwar keine Liebe auf den ersten Blick, aber dafür war es die ganz große!
    Was ich tat, als ich nichts fühlte:
    • Ich habe Fernsehen geguckt. Den größten Scheiß. Viel. Auch beim Stillen.
    • Ich habe meine Freundin angerufen. Wir haben uns immer alles ehrlich gesagt und nicht über die andere geurteilt, sondern uns gelobt und Mut gemacht.
    • Ich habe meinem Mann immer ehrlich gesagt, wie es mir ging. Und wenn das bedeutete, dass er sich nach zehn Stunden Arbeit noch zwei Stunden mein Geheule anhören musste, dann war das eben so. Da mussten wir schließlich zusammen durch.
    • Ich habe auch allen anderen ehrlich gesagt, wie es mir geht. Und siehe da: Andere Müttern fühlten sich plötzlich auch so. Was für eine Erleichterung!
    Ich bin die, die alles wieder gut macht!
    Die Freude darüber, die Mutter zu sein.
    Ich hatte extreme Startschwierigkeiten. Mich in meine neue Rolle als Hausfrau und Mutter einzufinden, hat nie richtig geklappt (Hausfrau) beziehungsweise ziemlich lange gedauert (Mutter).
    Als Mutter gefühlt habe ich mich zu Anfang gar nicht, ich wusste ja auch nicht, wie das geht. Liebe ich meinen Sohn anders als die anderen Menschen in seinem Umfeld? Ist ihm egal, wer sich um ihn kümmert? Die Antwort hat mir mein Sohn selbst gegeben. Als er ein paar Monate alt war, haben wir mit Freunden ein Wochenende in den Niederlanden verbracht. Spätabends wachte er auf und wühlte in seinem Reisebett herum. Er meckerte und konnte nicht wieder einschlafen. Wir haben uns immer wieder über das Bett gebeugt und versucht, ihn zu beruhigen. Er meckerte und wühlte weiter. Nach einiger Zeit nahm ich ihn auf den Arm, was eine der besten Entscheidungen meines Lebens war: Mein kleiner Sohn seufzte so erleichtert, wie es nur ging, kuschelte sich an mich und schlief auf der Stelle tief und fest ein. In diesem Moment habe ich zum ersten Mal so richtig verstanden, dass nur ich seine Mama bin, dass er sich nur bei mir so sicher fühlt und dass dies das größte Geschenk ist, das mir das Leben machen konnte. Mir liefen Tränen aus den Augen, und ich schluchzte glücklich: »Ich bin seine Mama.« Der Mann hat sich hinter meinem Rücken bestimmt den Finger in den Hals gesteckt, ließ sich aber mir gegenüber nicht anmerken, dass er diese Gefühlsduselei völlig übertrieben fand. Ich war so glücklich und
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