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Muße: Vom Glück des Nichtstuns (German Edition)

Muße: Vom Glück des Nichtstuns (German Edition)

Titel: Muße: Vom Glück des Nichtstuns (German Edition)
Autoren: Ulrich Schnabel
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tragen müsste?« Falls nicht, ist die Mail meist unnötig.
     
    Sollte Ihnen all das zu mühevoll erscheinen, erproben Sie doch eine ganz simple Strategie: einfach nicht reagieren. Wer sich verweigert, dem offenbart sich nämlich das große Geheimnis der elektronischen Kommunikation: Die meisten Mails erledigen sich von selbst.
    Diese Erfahrung beschreibt jedenfalls Miriam Meckel in ihrem Buch Das Glück der Unerreichbarkeit . Um in der E-Mail-Flut den Überblick zu behalten, schuf die Kommunikationswissenschaftlerin in ihrem Postfach einen Ordner für alle tagesaktuell zu bearbeitenden Mails. »Ich fühlte mich gleich besser, als ich zum ersten Mal nach dem morgendlichen Blick in die Inbox die wichtigsten Mails dort hineinschieben konnte«, berichtet Meckel. Dummerweise vergaß sie prompt diesen Teil ihrer elektronischen Post – aus den Augen, aus dem Sinn. Erst zehn Tage später fiel er ihr siedend heiß wieder ein. »Nahezu panisch checkte ich die Box – um festzustellen, dass bei keiner einzigen der etwa 40 dringenden Mails eine Nachfrage gekommen war.«
    Meckels Fazit: »Zehn Tage hatte die elektronische Post friedlich in dem Fach geruht, mir war es viel besser gegangen, und nach den zehn Tagen war nichts geschehen.«
    Zugegeben: Diese Strategie erfordert einen gewissen Mut. Doch einen Versuch ist sie allemal wert. Vermutlich werden Sie allerdings feststellen, dass Ihnen auch das erstaunlich schwerfällt und dass sich E-Mail-Gewohnheiten nur mit großer Mühe ändern lassen. Woran liegt das?
    Zum einen natürlich daran, dass unser Informationsverhalten längst von unserem Umfeld (Chefs, Arbeitskollegen, Freunde, Familie) mit gesteuert wird. Ein viel beschäftigter Manager muss erreichbar sein und schnell reagieren – sonst ist er seinen Job bald los. Zum anderen aber, so paradox es klingt, genießen wir den steten Nachrichtenstrom auch. Denn er vermittelt uns den Eindruck sozialer Anerkennung (»je mehr Mails, desto wichtiger«) und trägt so zu unserem Selbstwertgefühl bei. Außerdem verschafft uns jede neue Information auch den befriedigenden Kick des Neuen. Tipps zum kontrollierten Umgang mit E-Mails haben daher häufig eine ähnliche Wirkung wie der gut gemeinte Rat an den Alkoholiker: »Trink doch mal weniger!«
    Experten sprechen in diesem Zusammenhang gern vom »Steinzeitreflex«. »In der Evolutionsgeschichte hat das Gehirn gelernt, auf große Überraschungen postwendend zu reagieren«, sagt der Medienforscher Clifford Nass. »Heute allerdings gibt es eine wachsende Zahl von Menschen, die auf den kleinsten Hinweis, dass etwas Interessantes vor sich geht, sofort anspringen.« 16 Dass neue Reize im Gehirn postwendend bearbeitet werden, war in der Steinzeit tatsächlich überlebenswichtig. Tauchte ein Löwe auf, mussten alle geistigen Aktivitäten sofort auf diese Gefahr konzentriert und längerfristige Pläne, etwa der Bau einer Hütte, zurückgestellt werden. Einen ähnlichen Reflex kann bei modernen Büromenschen eine eintrudelnde E-Mail auslösen und längerfristige Ziele – wie das Feilen am neuen Businessplan – über den Haufen werfen. Es könnte ja sein , dass die E-Mail oder das Klingeln des Handys eine lebenswichtige Information birgt, etwa das Angebot für den lang erwarteten Karrrieresprung, die Nachricht eines plötzlichen Unfalls oder die Einladung auf eine Party (auch wenn es am Ende nur wieder eine öde Spam-Mail ist).
    Und dieser Mechanismus kann süchtig machen. Denn bei jedem interessanten Reiz werden – wie in Kapitel eins beschrieben – im Gehirn Botenstoffe freigesetzt, die eine gewisse Spannung im Körper erzeugen. Eine einzelne Mail führt zwar nur zu einem leichten Kribbeln, in der Summe aber stellt sich ein Erregungsniveau ein, das einem milden Rausch ähnelt. Suchtforscher vergleichen den »Kick«, den uns neue Informationen bescheren, dabei weniger mit der rauschhaften Wirkung von Drogen oder Alkohol, sondern eher mit dem Kitzel eines guten Essens. Denn beides – Informationen wie Nahrung – brauchen wir in einem gewissen Mindestmaß zum Überleben, an beidem aber können wir uns auch überfressen. g
    »Höhlenmenschen zählen keine Kalorien«, schreibt dazu der amerikanische Journalist und Internetexperte Stephen Baker. Während der Mensch früher, wie andere Tiere auch, über jedes bisschen Nahrung froh war, lebt er heute in einer Überfluss-Gesellschaft, in der die althergebrachten Instinkte leicht zur Fettleibigkeit führen. Ebenso seien auch Informationen längst
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