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Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)

Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)

Titel: Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)
Autoren: Edward Kelsey Moore
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mir gegenüber an den Tisch und lächelte.
    Mama zeigte auf die Schale mit den Trauben auf dem Tisch und sagte: »Ist die Eiscreme etwa alle, Odette?«
    »Ich versuche, mich gesünder zu ernähren, vielleicht ein paar Kilo abzunehmen diesen Sommer«, log ich, weil ich nicht zugeben wollte, dass die Trauben eigentlich bloß als erster Gang gedacht waren.
    »Diäten sind Energieverschwendung«, sagte Mama. »Es ist nichts verkehrt daran, ein paar Pfund mehr zu haben. Und um diese Tageszeit solltest du wirklich nicht so viel Wasser trinken. Denk dran, du warst eine Bettnässerin.«
    Ich lächelte, und mit kindischem Trotz trank ich noch mehr Wasser. Dann versuchte ich, das Thema zu wechseln, und fragte sie: »Was führt dich her, Mama?«
    »Ich dachte, ich komm vorbei und erzähl dir von dem Spaß, den ich mit Earl und Thelma McIntyre hatte. Wir waren die ganze Nacht auf, haben über alte Zeiten geplaudert und uns scheckig gelacht. Ich hatte ganz vergessen, wie lustig Thelma ist. Himmel, Arsch und Zwirn, hatten wir vielleicht einen Spaß. Und Thelma kann Joints rollen wie niemand sonst, feste, kleine Stängel gerade locker genug. Ich hab ihr gesagt …«
    »Mama, bitte«, unterbrach ich sie. Ich warf einen verstohlenen Blick über die Schulter, wie immer, wenn sie anfing, über solches Zeug zu reden. Meine Mutter war ihr ganzes Erwachsenenleben lang eine passionierte Marihuanaraucherin. Sie sagte immer, es sei gut gegen ihren grauen Star. Und wenn man sie darauf hinwies, dass sie nie unter grauem Star gelitten hatte, dann schwatzte sie einem die Ohren voll, wie wirksam ihre vorbeugende Kur gegen Sehkraftverlust doch sei.
    Abgesehen davon, dass es gegen das Gesetz verstieß, bestand das Problem mit Mamas »Gewohnheit«, wegen der ich mich immer, wenn sie darüber sprach, automatisch verstohlen umsah, darin, dass James seit fünfunddreißig Jahren bei der Indiana State Police arbeitete.
    Vor zwanzig Jahren wurde Mama einmal dabei erwischt, als sie auf dem Campus der Universität am nördlichen Ende der Stadt einen Beutel Dope kaufte. Als Gefälligkeit James gegenüber brachte der Campusleiter sie nach Hause, anstatt sie verhaften zu lassen. Der Sicherheitschef der Uni schwor zwar, das Ganze unter Verschluss zu halten, aber solche Dinge bleiben in einer Kleinstadt wie Plainview nie lange verborgen. Am nächsten Morgen wussten alle darüber Bescheid. Es schmeichelte Mama ungemein, als ihre Beinaheverhaftung eine Woche darauf dann auch zum Thema der Sonntagspredigt wurde. Aber James fand das damals überhaupt nicht witzig, und daran würde sich auch nie etwas ändern.
    Ich wartete ungeduldig darauf, dass Mama wieder auf die Geschichte von ihrem Abend mit den McIntyres zurückkam und die illegalen Aspekte ausließ. Denn die herausragendste unter all den Eigentümlichkeiten meiner Mutter war die Tatsache, dass sie viele Jahre lang hauptsächlich mit verstorbenen Menschen kommuniziert hatte. Thelma McIntyre, die hervorragende Jointdreherin, war bereits seit gut zwanzig Jahren tot. Big Earl dagegen war gestern noch wohlauf gewesen, als ich ihn in seinem Diner Earl’s All-You-Can-Eat gesehen hatte. Wenn er also tatsächlich bei Mama zu Besuch gewesen war, dann bedeutete das nichts Gutes für Big Earl.
    »Dann ist Big Earl tot, oder?«, fragte ich.
    »Ich nehme es an«, sagte sie.
    Ich saß eine Weile da, schwieg und dachte über Big Earl nach, der diese Welt verlassen hatte. Mama sah mich eindringlich an, als würde sie meine Gedanken lesen, und sagte schließlich: »Schon gut, Kleines. Wirklich. Er hätte nicht glücklicher wirken können.«
    Dass Mama Geister sehen konnte, fanden wir beim Thanksgiving-Essen im Jahre 1970 heraus. Mama, Papa, mein älterer Bruder Rudy, James, Jimmy, Eric und ich – mit Denise war ich in jenem Herbst noch schwanger –, wir hatten uns alle um den Tisch versammelt. Wie es bei uns Tradition war, oblag das Kochen mir allein. Mama hatte ein Händchen für Pflanzen. Sie hatte bereits den schönsten Garten der Stadt, lang bevor sie in einem Teil davon ihre geschätzten Marihuanapflanzen zog. Was das Kochen betraf, hatte sie den Dreh jedoch nie ganz herausbekommen. Das letzte Mal, als Mama versuchte, ein Festtagsmahl zuzubereiten, endete es damit, dass wir ihren schwarz-gräulichen Schinken an den Hund verfütterten und stattdessen hartgekochte Eier aßen. Nachdem der Hund davon gefressen hatte, winselte er geschlagene sechs Stunden lang. Also wurde ich im Alter von zehn Jahren zur Köchin der Familie
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