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Mortlock

Mortlock

Titel: Mortlock
Autoren: Jon Mayhew
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ist stark wie der Tod
    und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich.
    Das Hohelied Salomos, Altes Testament

31. KAPITEL

Opfer und ein weiches Herz
    Corvis stand triumphierend da, während die Tanten wie in Verehrung vor ihm knieten und mit gierig funkelnden Augen auf die Amarant starrten.
    »Die Macht, noch mehr von unseren Schwestern und Brüdern zu erschaffen«, keckerte Tante Mag. »Damit wir uns nicht länger in den Schatten verstecken und uns von dem ernähren müssen, was die Menschen uns überlassen. Wir werden den Himmel füllen und unseren rechtmäßigen Platz an Eurer Seite einnehmen, Mylord!«
    »Bedaure«, entgegnete Corvis schnippisch und sah auf sie hinunter. »Glaubt ihr im Ernst, ich würde diese Macht mit euch teilen? Mit schnöden Aasfressern?«
    »Aber Ihr habt es versprochen, Mylord«, fauchte Tante Mag, erhob sich und wich ein paar Schritte zurück.
    »Ja, das habe ich wohl«, sagte Corvis in gespielter Nachdenklichkeit. »Aber wisst ihr, ich ertrage es einfach keinen Tag länger, mir euer schwachsinniges Gekrächze anzuhören oder eure abstoßenden Tischmanieren zu erdulden!«
    Er deutete mit dem ausgestreckten Arm auf Tante Mag, und die Amarant loderte auf, bis ihr glutrotes Licht sie umschloss. Tante Mag schrie und flehte um Gnade. Dann begann sie zu schrumpfen und sich zu verwandeln, bis sie wiedereine einfache Krähe war, die kraftlos mit den Flügeln schlug. Josie war entsetzt.
Diese Qual hat sie nicht verdient
, dachte sie.
Ganz gleich, was sie getan hat
. Tante Mag wurde immer kleiner, und ihre Federn verschwanden. Sie war nur noch ein nacktes, faltiges Küken, dann ein Ei, schwarz und glänzend. Corvis schüttelte sich vor Lachen und hob den Fuß, um das Ei zu zertreten.
    Josie blickte nach unten. Der Spaten lag direkt vor ihren Füßen, das Blatt zu ihr gewandt. Sie trat kraftvoll mit dem Fuß darauf, sodass der Spaten in die Luft flog, und fing ihn auf. Er war schwer und nicht zum Werfen gemacht, aber sie folgte ihrem Instinkt. Sie wog den Spaten in der Hand, um seinen Schwerpunkt zu finden und zu erfühlen, wie sie ihn am besten halten und werfen konnte. Dann holte sie tief Luft und warf ihn mit einem Schrei wie ein Speer auf Corvis.
    Die Zeit verlangsamte sich.
    Das Metall des Blatts funkelte im purpurroten Licht der Amarant. Corvis fuhr herum, die Augen schreckgeweitet. Er versuchte auszuweichen, doch Josie hatte nicht auf seinen Kopf oder seinen Körper gezielt, sondern auf seinen Arm. Der Spaten war alt, und das jahrelange Graben in schwerer Erde hatte das Blatt messerscharf gemacht. Es traf Corvis am Handgelenk. Josie zuckte zusammen, als das Blut spritzte und die abgetrennte Hand, die noch die Amarant umklammerte, zu Boden fiel.
    Corvis sank gegen einen Grabstein und starrte fassungslos auf seinen Armstumpf, aus dem das Blut im Takt seines Herzschlags auf die kalte Erde schwallte. Sein Blick wanderte erst zu Josie, dann zu den beiden übrig gebliebenen Tanten, die langsam auf ihn zukamen.
    »Verschwindet«, sagte er, bereits geschwächt vom Blutverlust. »Wenn ihr mich tötet, verwandelt ihr euch wieder in ganz gewöhnliche Aaskrähen …«
    Er drehte sich um und versuchte wegzulaufen, doch seine Beine versagten ihm den Dienst. Er taumelte wie ein Betrunkener und fiel hinter einen Grabstein. Die Tanten stürzten sich auf ihn und gruben ihre Klauen in sein Fleisch. Arme, Beine und Flügel zappelten durch die Luft, dann ertönte ein widerwärtiges Gurgeln. Einen kurzen Moment krallte sich Corvis’ verbliebene Hand um den Rand des Grabsteins. Wie gelähmt sah Josie zu, wie sein Blut über die Inschrift rann und jeden Buchstaben ausfüllte, bis der Name trotz der Dunkelheit deutlich zu lesen war:
Der Große Cardamom
.
    Corvis’Todesschrei gellte über den Friedhof, dann breitete sich wieder Stille aus. Vorsichtig trat Josie ein paar Schritte vor und spähte über Cardamoms Grabstein. Sie musste sich vergewissern, dass Corvis wirklich tot war. Als sie ihn erblickte, stieß Josie einen erstickten Schrei aus. Corvis lag dort, wieder in seiner menschlichen Form, bleich und aufgetrieben, die Haut so weiß wie eine Made. Zwei Krähen pickten an seinem offenen, blutenden Stumpf, zerrten an Sehnen und Muskeln. Die eine hüpfte auf seine Schulter, sah Josie mit schief gelegtem Kopf an, dann hieb sie ihren Schnabel in Corvis’ Auge. Die andere stieß ein lautes Krächzen aus, das Josie zurückfahren ließ, und beide Vögel breiteten die Flügel aus und verschwanden in der
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