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Mortlock

Mortlock

Titel: Mortlock
Autoren: Jon Mayhew
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Kuppel aus Ästen, die den alten, knorrigen Stamm der Eibe umgab. Sie sahen sich an. Josie merkte, dass Alfie ebensolche Angst hatte wie sie. Seine Hände umklammertenden Griff des Spatens, und er leckte sich nervös über die Lippen. Mit einem letzten tiefen Atemzug holte er aus und hieb den Spaten in den Boden.
    Josie zuckte zusammen. Selbst ein menschlicher Schrei hätte nicht schlimmer klingen können als dieses Knirschen von Erde auf Metall. Sie starrte hinaus in die dunklen Schatten des Friedhofs, doch nichts rührte sich. Alfie warf den ersten Klumpen Erde hinter sich und grub den Spaten mit einer geübten Bewegung erneut in den Boden. Er grinste Josie kurz zu. Sie hatte nicht geahnt, wie kräftig er war.
    »Ich hab Mr Wiggins zugesehen«, sagte er, und seine Stimme wackelte trotz des zur Schau getragenen Selbstbewusstseins. »Und geholfen hab ich ihm auch schon ein paarmal.«
    Josie schwieg und sah nur zu, wie Alfie grub. Allmählich wurde das Loch größer. Ihr war klar, dass sie ihm früher oder später helfen musste, aber immer wieder dachte sie daran, was sie dort unten wohl erwartete. Grausige Bilder von den Zirkusleuten und Cardamoms ausgeweidetem Körper schossen ihr durch den Kopf.
    Alfie hielt inne und zog sich den Mantel aus. Er keuchte jetzt, und Josie bemerkte, dass er manchmal schwankte und versehentlich Erde zurück ins Loch fallen ließ.
    Sie holte tief Luft und sprang zu ihm hinunter. »Komm«, sagte sie und griff nach dem Spaten. »Lass mich mal ein bisschen graben.«
    Zögernd hielt Alfie den Griff fest. »Das ist Männerarbeit –«, setzte er an, doch Josie zog den Spaten mit einem entschlossenen Ruck an sich.
    »Für Streitereien haben wir jetzt keine Zeit.«
    Alfie wollte protestieren, doch ihm war anzusehen, dass das Graben ihn erschöpft hatte. »Na gut, aber nur bis ichwieder Luft kriege«, schnaufte er und kletterte aus der Grube.
    Josie stach den Spaten in die Erde und schrak zusammen. Das Geräusch war so laut, dass sie dachte, es müsste auf dem ganzen Friedhof zu hören sein. Mit jedem Spatenstich kam sie dem Leichnam näher, dem Mann, der in dieser modrig riechenden Erde erstickt war. Würde er in einer schrecklichen Verrenkung daliegen, als hätte er versucht, die Erde abzuwehren? Würde sie den Ausdruck des Grauens auf seinem verzerrten Gesicht sehen? Josie holte tief Luft und grub, dass die Erde in alle Richtungen flog.
    Alfie hatte sich bald wieder erholt, und Josie gab ihm erleichtert den Spaten zurück. Sie kletterte aus der Grube und hielt Wache, während Alfie sich wieder an die Arbeit machte. Das Loch wurde immer tiefer. Es war so dunkel, dass Josie nur den weißen Fleck seines Hemdes sehen konnte.
    Das Rattern einer vorbeirollenden Kutsche ließ Josie zusammenfahren, und sie stieß einen kleinen Schrei aus. Alfie erstarrte. Beide hielten den Atem an und standen reglos da, Alfie bis zum Bauch in der frisch ausgehobenen Grube, Josie über ihm wie eine steinerne Grabfigur. Was, wenn sie erwischt wurden? Dafür konnten sie gehängt werden oder bei den Irren und Mördern im Gefängnis landen. Alfie wartete noch einen Moment, dann begann er wieder zu graben. Jedes Scharren, jedes Klirren des Spatens hallte Josie laut in den Ohren.
    »Ich kann nicht mehr«, schnaufte er, zog sich aus der Grube und ließ sich gegen einen Erdhaufen sinken. Sein Gesicht war mit Schweiß und Schmutz überzogen, und er rang keuchend nach Luft. »Mach du mal weiter. Ich weiß nicht, ob ich noch eine Runde schaffe …«
    Bevor Josie etwas darauf erwidern konnte, begann der Boden der Grube an einer Stelle plötzlich blutrot zu glühen, zunächst nur ganz schwach, aber es wurde zusehends stärker. Das seltsame Licht pulsierte wie ein Herzschlag und warf seltsame Schatten auf die knorrigen Äste über ihnen.
    Sprachlos starrte Josie nach unten. Alfie setzte sich auf und spähte in die Grube. Mit einem Schrei fuhr er zurück.
    Das Licht flackerte um etwas herum – einen Umriss, den Josie nicht genau erkennen konnte. Dann hörte sie, wie die Erde in dem Loch in Bewegung geriet; es rieselte und Klumpen fielen herab. Ihre Kopfhaut kribbelte, und sie konnte nur noch stoßweise atmen. Plötzlich erhob sich eine Hand aus der Grube und reckte die zitternden Finger. In dem rötlichen Licht sah die Haut ausgedörrt und verwittert aus, und die Sehnen traten deutlich hervor. Eingerissene Fingernägel gruben sich in die feuchte Erdwand, während auf der anderen Seite eine zweite Hand erschien. Dann tauchte ein
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