Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Morphium

Morphium

Titel: Morphium
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
viele juristisch notwendige Wenns und Abers ein, aber die Geschworenen begriffen auch so – und das war schließlich die Hauptsache.
    »Es obliegt mir nicht, über die Beweise gegen eine andere Person zu urteilen, sondern nur aufzuzeigen, dass diese andere Person die gleiche Gelegenheit und einen viel stärkeren Motivgrund zum Mord hatte.
    Von diesem Standpunkt aus gesehen, meine Herren Geschworenen, sage ich Ihnen, dass die Anklage gegen Elinor Carlisle in sich zusammenfällt.«
     
    Elinor wurde in den Gerichtssaal zurückgeführt. Die Geschworenen traten ein.
    »Meine Herren Geschworenen, haben Sie Ihr Urteil gefällt?«
    »Ja.«
    »Schauen Sie die Angeklagte an und sagen Sie, ob sie schuldig ist oder nicht schuldig.«
    »Nicht schuldig.«

25
     
    M an hatte sie zu einem Seitentor hinausgebracht.
    Sie hatte die Gesichter gesehen, die sie willkommen hießen… Roddy, den Detektiv mit dem großen Schnurrbart…
    Aber Peter Lord war es, an den sie sich wandte.
    »Ich will fort…«
    Nun saß sie mit ihm im Auto und fuhr rasch aus London hinaus.
    Er sagte nichts; sie saß da in wohl tuendem Schweigen.
    Jede Minute führte sie weiter und weiter fort.
    Ein neues Leben…
    Das war es, was sie jetzt brauchte… Ein neues Leben.
    Sie sagte plötzlich:
    »Ich – ich möchte an einen Ort, wo es ruhig ist… wo es keine Gesichter gibt…«
    »Es ist alles vorbereitet. Sie gehen in ein Sanatorium. Ein ruhiger Ort. Wunderschöne Gärten. Niemand wird Sie belästigen.«
    »Ja – das ist’s, was ich brauche…«, murmelte sie.
    Wohl weil er Arzt war, meinte sie, war er so verständnisvoll. So wunderbar friedlich war’s hier, mit ihm zu sein, fortzukommen von all dem, von London… an einen Ort, wo man sicher war…
    Sie wollte vergessen – alles vergessen… Nichts von allem war noch wirklich. Es war alles fort, verschwunden, erledigt – das alte Leben und die alten Gefühle. Sie war ein neues, fremdes, schutzloses Geschöpf, ganz wund und empfindlich, das wieder von vorne anfangen musste. Sehr fremd und sehr furchtsam…
    Aber es war tröstlich, bei Peter Lord zu sein…
    Nun waren sie aus London heraus und fuhren durch Vororte. »Es waren nur Sie – nur Sie …«, sagte sie endlich.
    »Nein, es war Hercule Poirot. Der Mensch ist eine Art Zauberer!«
    Aber Elinor schüttelte den Kopf. Sie sagte hartnäckig:
    »Sie waren es. Sie holten ihn und zwangen ihn, es zu tun!«
    Peter grinste.
    »Na gut…«
    »Wussten Sie, dass ich es nicht getan hatte, oder waren Sie nur nicht ganz sicher?«
    »Ich war nie ganz sicher«, sagte er einfach.
    »Es erscheint jetzt alles so seltsam… wie eine Art Besessenheit. An dem Tag, als ich die Paste kaufte und die Brote zubereitete, spielte ich mit dem Gedanken: Ich tue Gift hinein und wenn sie davon isst, wird sie sterben – und dann wird Roddy zu mir zurückkehren.«
    »Es hilft manchen Leuten, sich so etwas vorzumachen. Es ist eigentlich nichts Schlechtes. Man wird es in der Phantasie los. Wie wenn man eine Krankheit ausschwitzt.«
    »Ja, das ist wahr. Weil es – plötzlich – verschwand! Das Finstere meine ich! Als jene Frau die Rosen vor dem Pförtnerhaus erwähnte – kam ein plötzlicher Umschwung – in das normale Empfinden zurück…« Sie hielt inne und fuhr dann erschauernd fort: »Als wir nachher ins Frühstückszimmer kamen und sie war tot – oder im Sterben – da fühlte ich: Ist eigentlich viel Unterschied zwischen einen Mord denken und ihn vollbringen?«
    »Und was für ein Unterschied!«
    »Ja, wirklich?«
    »Aber natürlich! Einen Mord denken tut doch niemandem weh. Es heißt ja nicht, einen Mord planen! Das ist es nicht. Wenn man lange genug an einen Mord denkt, kommt man plötzlich ans Ende des finsteren Tunnels und fühlt, dass das alles recht dumm ist!«
    »Ach, Sie sind wirklich ein tröstlicher Mensch …«, rief Elinor.
    Und Peter Lord erwiderte etwas unzusammenhängend:
    »Aber gar nicht. Einfach gesunder Menschenverstand.«
    Elinor hatte auf einmal Tränen in den Augen:
    »Hie und da – im Gerichtssaal – schaute ich Sie an, das verlieh mir Mut. Sie sahen so – so alltäglich aus.«
    Dann lachte sie.
    »Das ist eigentlich unhöflich!«
    »Ich verstehe. Wenn man mitten in einem Alptraum steckt, ist etwas Alltägliches die einzige Rettung. Überhaupt sind die alltäglichen Dinge das Beste. Das habe ich immer gedacht.«
    Zum ersten Mal, seit sie in das Auto gestiegen war, wandte sie den Kopf und schaute ihn an.
    Der Anblick seines Gesichtes tat ihr nicht weh,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher