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Mordlast

Mordlast

Titel: Mordlast
Autoren: Alexander Guzewicz
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halten.
    Die diskutierenden Kollegen erhoben sich beinahe gleichzeitig und stellten ihre Tabletts in den Wagen, bevor sie in die Cafeteria verschwanden. Ólafur Davídsson hatte ebenfalls vorgehabt, dort einen Kaffee zu trinken, aber jetzt war ihm die Lust daran vergangen. Er würde unterwegs irgendwo halten, um ihn zu trinken. Noch fuhr er das alte Polizeiauto, aber Engbers hatte bereits eingefädelt, dass er den   Citroën DS 21   bekommen würde; auch wenn ihm die Farbe nicht zusagte, gefiel ihm mittlerweile der Gedanke daran, zukünftig in diesem Auto zu fahren.
    Es war irgendwie etwas Besonderes – Kult und Stil zugleich.
    Er nahm sein Tablett und gab es in der Spülküche ab. Dann verließ er das Gebäude, um Engbers in der Keithstraße abzuholen.
     
    Das Jugendheim Wilmersdorf befand sich heute noch in der Hildegardstraße, deren Häuser wuchtig und gleichförmig waren.
    »Das ist der sogenannte Schrammblock.« Engbers steckte sich eine Zigarette in den Mundwinkel, noch ehe sie aus seinem Wagen ausgestiegen waren, aber er zündete sie nicht sofort an. »Die Wohnanlage ist riesig und hatte bei ihrer Erbauung eine der ersten unterirdischen Großgaragen, mit Hofterrassen und Vorgärten.«
    »Aha. Du bist aber schon sicher, dass du nicht doch ein verkappter Berliner bist?«
    »Der Schrammblock ist bekannt. Ich habe einen Bericht darüber gelesen. Davor waren hier eine Badeanstalt und ein Tanzpalast.« Er grinste, als er sich die Zigarette anzündete.
    »Dachte ich es mir doch. Es ging dir überhaupt nicht um die Architektur.« Davídsson lächelte jetzt ebenfalls.
    »Tanzpalast ist mir zu bieder. Ich glaube, das passt eher zu   Citroën -Fahrern.«
    Beide lachten, bevor sie sich an der Pforte bei einem gelangweilten Angestellten des Kinderheims anmeldeten.
    »Die Heimleiterin erwartet Sie schon in ihrem Büro. Zweiter Stock. Erste Tür links. Sie können den Aufzug nehmen.«
    »Danke, wir laufen lieber. Das ist nicht so bieder«, antwortete Engbers, aber der Mann schien den Witz nicht zu verstehen.
    Die Heimleiterin war alles andere, als das typische Klischee versprach: Sie war jung, höchstens fünfunddreißig, hatte blonde lange Haare und einen zartbraunen Teint.
    »Birgit Busse.« Ihre Stimme war weder besonders scharf noch besonders freundlich. Sie war nur angenehm klar.
    Engbers stellte zunächst Davídsson und anschließend sich selbst vor, bevor sie sich auf einer Sitzgruppe niederließen.
    »Ich habe leider keine großartigen Aktenbestände mehr. Die haben die Alliierten wohl alle mitgenommen, aber ich habe noch ein paar Bilder und eine Liste mit den Kindern, die hier aufgenommen wurden. Heute geht es hier ja völlig anders zu als zu der Zeit damals, als es noch ein Umerziehungsheim der Nazis war.«
    Sie stand auf und holte eine schmale Akte, aus der ein paar wenige Schwarz-Weiß-Aufnahmen ragten, die sie mit ihren lackierten Fingernägel wieder zurück an ihren Platz schob, bevor sie sie auf ihre Oberschenkel legte.
    »Für uns ist vor allem der Jahreswechsel   1943/44   interessant.« Davídsson hatte von seinem österreichischen Kollegen erfahren, dass Moïras Kind zu dieser Zeit nach Berlin geschickt worden war.
    Aus einer Hölle in die nächste, dachte er jetzt, als die junge Frau zwei Bilder aus der Akte zog.
    »Es gibt immer nur Jahrgangsbilder. Auf der Rückseite sind die Namen zu den Gesichtern vermerkt.«
    Davídsson betrachtete die Gesichter der Kinder. Es waren fast alles Jungs im Alter von zehn bis zwölf Jahren. Aus ihren Augen sprach die Angst vor Bestrafung und Peinigung. Nicht einmal für dieses Bild hatte sich jemand die Mühe gemacht, ihnen ein Lächeln abzuringen. Nur die Kleidung war bei allen gleich – Lederkoppel mit Koppelschloss, Braunhemd mit Schulterriemen, Halstuch und Lederknoten.
    Er drehte die Fotos um und gab eines davon an Engbers weiter. Die Schrift war kaum noch zu erkennen. Die schwarze Tinte war beinahe vollständig verblasst.
    Davídsson stellte sich an das Fenster in dem Büro und versuchte die Namen zu lesen.
    »Ich habe hier etwas.« Engbers stand auf und ging zu Davídsson an das Fenster. »Hier steht doch Moiira, oder?«
    Davídsson versuchte, die Schrift zu entziffern. Er brauchte eine Weile, aber Engbers hatte Recht. Auf der Rückseite des Bildes stand tatsächlich Erik Moiira.
    »Ein Junge. Erik Moïra.« Davídsson setzte sich mit dem Bild zurück auf die Sitzgruppe und betrachtete wieder das Foto. Dieses Mal interessierte ihn nur der Junge in der
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