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Mord in Tarsis

Mord in Tarsis

Titel: Mord in Tarsis
Autoren: John Maddox Roberts
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wirkte. Für Nisturs Augen sah es jedoch gepflegt und einladend aus. Die Masten waren wie bei den anderen längst verschwunden und durch einen einzelnen Schornstein ersetzt worden, aus dem Rauch aufstieg. Das war um so willkommener, als Nistur immer müder wurde und immer mehr fror. Außerdem schneite es inzwischen stärker. Blaßgelbes Licht leuchtete durch das Bleiglas der Fenster am Bug.
    Muschelring schlug an eine Tür neben einem schweren, gebogenen Stützbalken. »Alter Mann! Laß mich ein!« Sie klopfte wieder, und nach kurzer Zeit ging die Tür auf. Warmes gelbes Licht fiel auf den verschneiten Hafenboden.
    »Wer ist da? Muschelring? Brauchst du Hilfe?« Nistur konnte nicht sehen, wer da sprach.
    »Nicht ich. Hier ist ein Mann in einem furchtbaren Zustand. Kannst du ihn dir mal ansehen?«
    »Ich denke schon. Bring ihn rein.« Der Mann an der Tür trat beiseite, und die junge Frau lief hinein. Gebückt wand sich Nistur mit seiner Bürde durch den Eingang. Drinnen fand er sich in einem höhlenartigen Raum wieder, der einst der Bug des Handelsschiffes gewesen war. Rippenartige Planken bogen sich von den Seiten nach oben, und über ihnen verliefen massive Querbalken. Die Beleuchtung kam von Öllampen, die mittels Halterungen an den Rippenplanken befestigt waren.
    »Im Kampf verwundet, hm?« Der Sprecher war ein Mann undefinierbaren Alters mit weißem Haar und weißem Bart. Er trug eine äußerst schlichte, sackartige Kutte aus grobem braunen Stoff mit einer Kapuze und einen halblangen Umhang aus demselben Material.
    »Er hat keine Wunde«, sagte Nistur. »Er wurde vor kurzem von einem seltsamen Leiden heimgesucht, und meine kleine Freundin hier sagt, daß du ein erfahrener Heiler bist.«
    »Ich habe ein paar bescheidene Kenntnisse auf diesem Gebiet«, sagte der alte Mann. »Ich bin Stunbog, ein sehr demütiger Vertreter der Künste.«
    »Der Dicke kann bezahlen«, sagte Muschelring hilfsbereit. »Er ist ein gedungener Mör- autsch!« Nisturs Hand hatte sie hart an der knochigen Schulter gepackt.
    »Ich bin ein Dichter mit Namen Nistur und ein Freund dieses höchst unglückseligen Mannes. Bitte tu, was du kannst, um ihm zu helfen.«
    »Das werde ich, Geld hin oder her. Myrsa, bring diesen Mann ins Krankenzimmer und zieh ihm diese Echsenhaut aus.«
    Eine Frau trat aus einem schlecht beleuchteten Winkel des Raums. Sie war viel größer als Nistur und hatte ein breites, schönes Gesicht, das von dicken Zöpfen aus einer seltsamen Mischung roter und goldblonder Haare eingerahmt wurde. Sie war sichtlich eine Barbarin, doch er konnte ihr Volk nicht bestimmen, obwohl er sich für einen guten Kenner der verschiedenen Nationen und Stämme der Welt hielt. Sie nahm den reglosen Mann von seiner Schulter, und trotz seiner Erleichterung wegen des Gewichts staunte er über die Leichtigkeit, mit der sie den kranken Krieger trug. Ihr kräftiger, statuenhafter Körper steckte in Kleidern aus schön bearbeitetem Leder, die ihr paßten wie eine zweite Haut. Die komplizierten Stickmuster wirkten im Lampenschein fast wie Tätowierungen. Obwohl sie so kräftig war, verursachten ihre pelzbesetzten Stiefel auf dem Holzboden keinen Laut, als sie ihre Last in einen kleinen Nebenraum trug und die Tür hinter sich schloß.
    »Ich werde ihn gleich untersuchen«, sagte der Heiler. »Kommt, wärmt euch auf, während Myrsa ihn vorbereitet.«
    Der Assassine und die Diebin folgten dem alten Mann in den hinteren Teil des Schiffes, wo sie eine Treppe zu einem großen Raum hinaufstiegen, der einst die Kapitänskabine gewesen sein mußte. Er hatte Fenster aus Bleiglas, Bänke rund um einen massiven Holztisch und, was am besten war, an einem Ende der Kabine einen anständigen gemauerten Kamin, in dem ein prasselndes Feuer auf verzierten Kaminböcken loderte.
    Wegen dieser Wärme nahm Nistur Hut und Mantel ab und hängte sie an einen Haken, der einst den Seemantel eines Kapitäns gehalten hatte. Stunbog nahm einen Krug aus gehämmertem Kupfer vom Herd und goß warmen Wein in glasierte, irdene Becher.
    »Ich danke dir von ganzem Herzen«, sagte Nistur, während der Wein seine Wirkung tat, seinen ausgekühlten Körper erwärmte und den Schmerz in seinen Schultern linderte. »Ich weiß nicht, was meinen Freund überkommen hat. Einen Moment kämpfte… war er so lebendig, wie man es sich nur denken kann, im nächsten zitterte er und verlor die Kontrolle über seine Glieder. Dann schwand ihm sogar die Stimme. Er scheint nur noch atmen zu können. Und seine
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