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Moorehawke 01 - Schattenpfade

Moorehawke 01 - Schattenpfade

Titel: Moorehawke 01 - Schattenpfade
Autoren: Kiernan Celine
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die wabernde Finsternis am Fuße der Treppe gerichtet.

    Vielen Dank auch , dachte Wynter. Besten Dank für deine fabelhafte Hilfe! Doch ihr kläglicher Sarkasmus tröstete sie nicht im Geringsten, während sie die Stufen hinunterstieg.
    Sie hörte das Flüstern, sobald sie an die geschlossene Tür herantrat, und blieb wie angewurzelt stehen. Es war, als erfülle es den Fuß der Treppe wie ein lebendiges Wesen – es bewohnte weniger die Luft, sondern versuchte vielmehr, Wynter zu bewohnen. Zischend schlüpfte es unter ihre Haut, sickerte in ihren Kopf. Es kroch ihr unter die Kleider und wanderte die Rippen hinauf. Es schlängelte sich und kroch ihr kalt und verstohlen die Wirbelsäule empor.
    Christophers Stimme klang ihr wieder im Ohr, hell und rein vor dem plätschernden Schrecken der geflüsterten Litanei … Hast du schon mal gesehen, wie ein Auge aus seiner Höhle gezogen wird?
    Wynter machte ein ersticktes Geräusch und trat einen Schritt zurück. Sie begann zu zittern, die heftig schwankende Kerze spritzte heißes Wachs auf ihre Hand.
    Jedes geflüsterte Wort war klar und deutlich, wenn auch die Stimme, die sprach, kehlig und belegt vor Furcht und Schmerz war. Es war das Gebet der Mittelländer an ihre Jungfrau. Wynter lauschte, die Augen weit aufgerissen. Dicke Wachstropfen fielen ihr ins Haar und benetzten ihre Wangen, während sie allen Mut zusammennahm, um die Hand auszustrecken und den Türgriff zu drehen.
    »Ave Maria« , flehte die Stimme, »gratia plena, Dominus tecum …« Die Worte wurden schneller – wie aus Angst, aufgehalten zu werden. »… benedicta tu in mulieribus, et benedictus fructus ventris tui, Jesus . « Gewiss konnte kein Irdischer so rasch und so deutlich sprechen. In Wynters Kopf drehte sich alles. »Sancta Maria« , flüsterte die Stimme, die Bitten erreichten immer neue Höhen der Verzweiflung. »Mater Dei, ora pro
nobis peccatoribus, nunc et in hora mortis nostrae. Amen . « Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.
    Es kam keine Pause nach dem Amen, kein geisterhaftes Einatmen. Die Stimme fuhr einfach fort, warf sich in einen neuen Gebetszirkel von »Ave Maria, gratia plena, Dominus tecum«, steigerte sich erneut in Geschwindigkeit und Tonhöhe, die Bedrängnis darin war fast greifbar. »Benedicta tu in mulieribus …«, jammerte sie, als könnten die Worte selbst Rettung gewähren, »… et benedictus fructus ventris tui, Jesus.«
    Wieder hörte sie Christophers Stimme im Geiste ruhig die letzten furchtbaren Stunden dieser armen Seele beschreiben. Dann haben sie heiße Schürhaken genommen … Hast du schon mal heißes Metall auf menschlichem Fleisch gerochen?
    Wynter presste sich die freie Hand aufs Ohr und machte noch einen Schritt rückwärts. Sie schüttelte heftig den Kopf, nein, sie konnte dort nicht hineingehen. Das überstieg ihre Kraft. Ihr Herz schlug so schnell, dass sie befürchtete, in Ohnmacht zu fallen. Sie konnte der Quelle dieses zu Tode verängstigten Gebets nicht gegenübertreten. Sie konnte einfach nicht. Sie hatte nicht die …
    »Kind?«
    Wynter schrie auf und wirbelte herum, das Wachs spritzte im hohen Bogen. Die Kerze flackerte und erstarb, flammte dann aber gottlob wieder auf, als Wynter rückwärts gegen die Mauer taumelte. Dunkle Flecken aus Schrecken und Furcht tanzten vor ihren Augen, und sie spürte, dass ihre Beine nachgaben. Vor Angst, sie könnte die Besinnung verlieren, stieß sie einen Schrei aus, um die aufgestaute Anspannung aus ihrer Brust zu vertreiben und das Entsetzen aus ihrem Kopf zu jagen.
    Rory stand neben ihr auf den Stufen, das durchsichtige
Gesicht von Besorgnis gezeichnet. Wynter streckte ihm die Kerze entgegen wie eine Waffe, sie brauchte mehrere Augenblicke, um wieder so weit die Beherrschung über sich zu gewinnen, dass sie ihre heftig zitternde Hand senken und sich aufrichten konnte.
    »Kind«, wiederholte Rory. Seine Stimme war weit weniger klar als die der bemitleidenswerten Seele, die hinter der Tür dort gefangen war. »Du musst dich eilen … Die anderen …« Er blickte sich um, jede Bewegung war langsam und mühsam. Seine Haltung konnte man kaum als Stehen bezeichnen, die Schultern waren tief herabgezogen, der Kopf hing kraftlos herunter. Wenn er kein Gespenst wäre, würde er gegen die Wand sacken, dachte Wynter.
    Sie streckte ihm ihre Hand entgegen, ergriffen davon, wie schrecklich er aussah. Die Worte Das können wir nicht tun lagen ihr schon auf der Zunge.
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