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Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter

Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter

Titel: Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter
Autoren: Karin Jaeckel
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sehr aneinander. Mein Bruder wurde von seinem Großvater abgöttisch geliebt, und für Stefan wiederum war Opa einfach der Größte, dessen früher Tod den Jungen sehr stark traf. Trotzdem kam ich von der Idee, Stefans Großvater sei zugleich sein Vater, schließlich wieder ab. Immerhin gab es einen Mann, der Alimente für meinen Bruder zahlte. Das hätte er sicher nicht getan, wenn die Vaterschaft nicht zweifelsfrei festgestanden hätte. Oder?
    Noch immer beschleichen mich manchmal Zweifel. Wurde denn überhaupt ein Vaterschaftstest gemacht? Oder hat der damalige Freund meiner Mutter auf Treu und Glauben vertraut?
    Wie dem auch sei, meine Mutter arrangierte sich nach Stefans Geburt mit ihren Eltern. Wenngleich sie selbst in ihrem Elternhaus nicht mehr willkommen war und damit ihr Zuhause verloren hatte, so durfte der Kleine doch bleiben und wuchs zum Augapfel meines Großvaters heran.
    Meine Mutter war – das erklärte sie uns Kindern immer wieder – ihren Eltern zutiefst dankbar, dass sie ihr trotz des Kummers und der Enttäuschung, die sie ihnen bereitet hatte, das Kind abnahmen. Sie wusste, der Kleine war bei ihnen gut aufgehoben. Als Junge hatte er nichts zu befürchten.
    Die Unterbringung Stefans war für meine Mutter umso wichtiger, als sie endlich eine Arbeit gefunden hatte, die ihr Freude bereitete und eine Perspektive für die Zukunft eröffnete. Sie hatte nämlich eine Stelle in einem Kinderheim angenommen.
    Ich weiß nicht, welche Aufgaben sie dort hatte. Vielleicht war sie als Bürokraft eingestellt. Das wäre denkbar, weil sie im Maschinenschreiben perfekt war. Vielleicht betreute sie aber auch Kinder. Später, als ich in der Schule Schwierigkeiten hatte, erklärte sie einmal einer Lehrerin, »Ahnung in Psychologie« zu haben und mich schon wieder in den Griff bekommen zu können. Das könnte darauf hinweisen, dass sie tatsächlich als Betreuerin oder Erzieherin gearbeitet hat.
    Meine Mutter – eine Kindererzieherin? So seltsam es sich für mich heute auch anhört: Damals liebte meine Mutter Kinder.
    Für eine Frau, die in ihrer Kindheit missbraucht wurde, ist dies nichts Außergewöhnliches. Ich weiß es von mir selbst. Wer erlebt hat, dass jede Zärtlichkeit, jede Umarmung eines Erwachsenen in Sex mündet und auf dieser Ebene Bezahlung fordert, genießt die Unschuld von Kindern doppelt. Wenn sie dich umarmen und küssen, ist das so rein, so ganz ohne Gewalt und Druck und Schuld. Es ist einfach nur zärtlich und lieb. Ich kann es nicht besser ausdrücken.
    Auf jeden Fall bin ich sicher, dass meine Mutter in diesem Kinderheim glücklich war. Und sie muss auch wieder angefangen haben, Zukunftspläne zu schmieden. Sie war jung, knapp über zwanzig erst, hübsch und gescheit. Warum sollte sie nicht noch mal ganz von vorn beginnen?

II
    Wann meine Eltern einander kennen lernten, weiß ich nicht genau. Es muss auf jeden Fall irgendwann zwischen Stefans Geburt im Jahre 1964 und ihrer Hochzeit im Sommer 1966 geschehen sein. Meine Mutter arbeitete noch im Kinderheim. Mein Vater war als Starkstromelektriker beschäftigt. Zum Zeitpunkt der Heirat war er gerade 23, meine Mutter knapp 24 Jahre alt.
    Als ich das hübsche, schlanke Paar, das sie damals waren, zum ersten Mal auf Fotos sah, habe ich sie anfangs gar nicht erkannt. Wie verliebt sie waren! Wie meine Mutter meinen Vater anhimmelte!
    »Er war ihr Retter!«, sagte Oma Berta, als sie mir die Bilder zeigte. »Sie muss dankbar sein, dass sie so einen netten Mann bekommen hat. Eine mit einem unehelichen Balg nimmt nicht jeder. Aber das verstehst du nicht. Du bist noch zu klein.«
    Damals begriff ich wirklich nicht, was es für meine Mutter bedeutet haben mag, dankbar sein zu müssen, dass sich ein ordentlicher, gesunder junger Mann herabließ, sie trotz ihres unehelichen Kindes zu heiraten. Das Selbstwertgefühl einer sexuell missbrauchten Frau ist ja total vernichtet. Wenn sie überhaupt wenigstens ein Stück davon wiedererlangen kann, dann meist nur durch außergewöhnliche Leistungen und Erfolge. Solche Leistungen hatten meine Mutter vielleicht durch ihre Kinderzeit gerettet. Doch dann brach mit der ungewollten Schwangerschaft und dem Abbruch der Traumausbildung alles wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
    Einmal sagte sie mir, man habe sie wegen des unehelichen Kindes in eine totale Versagerrolle gedrängt, sodass sie nicht mehr imstande war, frei zu handeln. Ich glaube nicht, dass diese Äußerung nur den verlorenen und nie verschmerzten Beruf betraf.
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