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Mondspiel: Novelle (German Edition)

Mondspiel: Novelle (German Edition)

Titel: Mondspiel: Novelle (German Edition)
Autoren: Christine Feehan
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und sein Ohr lauschte dem Klang. Die Feinabstimmung nahm er automatisch vor, ohne nachzudenken. Er lebte und atmete Musik, die Töne, die in seinem Kopf Gestalt annahmen. Diese unvergleichliche Gabe besaß er immer noch, und er hatte seine Stimme, sein Markenzeichen, eine rauchige, heisere Bluesstimme. Sie floss aus ihm heraus. Er sang von Hoffnung und Freude, von gefundener Liebe und familiärer Eintracht. Während er sang, fanden seine Finger die vertrauten Akkorde und bewegten sich mit unvergessener Liebe über die Saiten. Ihm fehlte die Fingerfertigkeit für die schnellen Riffs und die komplizierten Melodien, die er oft in seinem Kopf hörte und komponierte, aber er konnte für seine Familie spielen und das Geschenk der Liebe genießen.
    Sie sangen mit ihm, alle, die er liebte. Jessicas Stimme verband sich vollendet mit seiner. Brenda traf die Töne nicht ganz, aber dafür mochte er sie umso mehr. Taras Stimme klang vielversprechend und aus Trevors Stimme war Begeisterung herauszuhören. Es bereite ihm unvergleichliches Vergnügen, am Heiligen Abend im Kreise seiner Familie in seinem Haus zu sitzen – sein persönliches Wunder.
    Ein leises Geräusch am Fenster lenkte Jessica von der Musik ab. Sie zog die Stirn in Falten und sah durch die Scheibe in das wüste Unwetter hinaus, das im Dunkeln tobte. Sie sah etwas Weißes flattern und sich draußen auf der Fensterbank niederlassen. Ein vom Sturm gebeutelter Vogel, der sich vielleicht im Dunkel der Nacht und in der Heftigkeit der Böen verirrt hatte.
    »Am Fenster ist ein Vogel«, sagte Jessica leise, da sie befürchtete, wenn sie zu laut sprach, würde er verschwinden,
bevor ihn außer ihr jemand sah. Sie bewegte sich behutsam durch das Zimmer, während die anderen regungslos dasaßen. »Vögel sind um diese Zeit nicht unterwegs. Ist er gegen die Scheibe geflogen?«
    Der Vogel wirkte reichlich zerzaust – eine nasse, unglückliche, zitternde Taube. Jessica öffnete behutsam das Fenster und gurrte leise, um das Geschöpf nicht zu erschrecken. Zu ihrem Erstaunen wartete der Vogel seelenruhig auf der Fensterbank, während sie darum rang, eine Seite des Fensters gegen den heftigen Wind aufzudrücken. Sofort hüpfte der Vogel auf ihren Arm. Sie konnte sein Zittern spüren und legte ihre warmen Handflächen um seinen Körper. Er trug etwas in seinem Schnabel. Sie konnte das Funkeln von Gold zwischen ihren Händen erkennen. Das war aber noch nicht alles – er trug einen Ring um den Fuß. Jessica fühlte, wie er zwischen ihre Handflächen fiel, als sich der Vogel erhob, mit den Flügeln flatterte und sich in die Luft aufschwang. Er flog durch das Zimmer. Als er über den Zwillingen vorbeikam, öffnete er den Schnabel und ließ etwas zwischen sie fallen. Die Taube drehte noch eine schnelle Runde durch das Zimmer, während das Licht in wunderschönen Regenbogenfarben über ihr weißes Gefieder glitt. Dann flog sie zum Fenster hinaus und in die Nacht zurück, um sich an einen anderen geschützten Ort zu begeben.
    »Was ist das, Tara?« Trevor beugte sich zu ihr, als seine Schwester eine goldene Kette hochhob, damit alle sie sehen konnten. »Das ist ein Medaillon.« Es war klein und herzförmig und außen kunstvoll verziert.
    »Ich glaube, das ist echtes Gold«, sagte Trevor und nahm es in die Hand, um es sich genauer anzusehen.
    »Ist das für mich? Hat jemand das für mich besorgt? Wo kommt es her?« Tara sah die Bandmitglieder an, die verstummt waren, als sie die Kette hochhob. »Wer hat mir das geschenkt?«
    Dillon beugte sich vor, um das Medaillon zu betrachten. Brenda fasste sich an die Kehle. Als Dillons Blick auf sie fiel, schüttelte sie eilig den Kopf. »Ich war es nicht, Dillon, ich schwöre, ich war es nicht.«
    »Man kann es öffnen, nicht wahr?« Trevor legte seiner Schwester einen Arm um die Schultern und sah das zierliche Medaillon neugierig an. »Was ist drin?«
    Tara drückte auf den kleinen Schnappverschluss und das Medaillon sprang auf. Darin befanden sich zwei lächelnde Gesichter, ein zweijähriges Mädchen und ein zweijähriger Junge. Lockiges schwarzes Haar fiel um ihre Gesichter.
    »Dad?« Tara sah ihren Vater an. »Das sind wir, stimmt’s?«
    Dillon nickte feierlich. »Eure Mutter hat diese Kette nie abgenommen. Ich wusste nicht einmal, dass in dem Medaillon Fotos von euch waren.«
    Tara wandte sich zu Jessica um, und auf ihrem jungen Gesicht stand ein verunsicherter Ausdruck. Sie wusste nicht, was sie von einem solchen Geschenk halten sollte.
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